Geten

[305] Geten (Getä, Getes), eine thracische Völkerschaft, die zur Zeit des Herodot, welcher sie zuerst ausführlicher erwähnt, zwischen dem Hämus u. der Donau, westlich etwa bis zur Jantra wohnte u. sich dem Darius auf seinem Heerzuge gegen die Scythen unterwerfen mußte. Im 5. Jahrh. v. Chr. standen sie in Abhängigkeit vom Reiche der Odrysen; im 4. Jahrh. schlossen sie sich an Philipp von Macedonien an, weil sie von dem Scythenkönig Ateas, der an der unteren Donau u. dem Pontus ein großes Reich begründet hatte, bedrängt wurden. Als letzteres jedoch zugleich mit seinem Begründer durch Philipp 339 v. Chr. sein Ende fand, breiteten die G. ihre Herrschaft auch nördlich der Donau[305] aus, wo sie von Alexander dem Gr. 334 aufgesucht, bei der Insel Peuke besiegt wurden. Harte Kämpfe hatte Lysimachus mit den G. unter ihrem König Dromichätes zu bestehen, welcher 301 den Sohn des Erstern, den Agathocles, u. 292 den Lysimachus selbst gefangen nahm. Hauptsitz der getischen Macht war um diese Zeit das Land nördlich der unteren Donau; nach des Lysimachus Tode (281) tauchte der getische Name auch wieder südlich der Donau auf, doch wurden die G. am Hämus durch die Begründung des Reiches der Celten aufs Neue um ihre Unabhängigkeit gebracht; auch ihre Herrschaft jenseit der Donau ward jedenfalls durch dieses Ereigniß gebrochen. Während hierauf die Bastarnen um den Anfang des 2. Jahrh. von der Weichsel her sich über die Länder nördlich der unteren Donau verbreiteten, kommt schon gegen das Ende des 3. Jahrh. das alte Odrysenreich am Hämus wieder auf, u. auch die G. (deren namhaftester Stamm die Krobyzen waren) erhoben sich hier wieder unter einzelnen Königen. Mit den Römern kamen die G. erst im zweiten Mithridatischen Kriege in feindselige Berührung, als Lucullus 73 v. Chr. einen Feldzug nach der Donau gegen die Mösier (worunter die G. inbegriffen sind) unternahm, worauf diese zu den Römern in Bundesgenossenschaft traten. Mittlerweile hatten sich im Gebirgslande nördlich der Donau (Siebenbürgen) die bisher kaum dem Namen nach bekannten Daken (Daci), welche mit den G. stammverwandt waren, festgesetzt, weshalb auch beide Namen von jetzt an häufig gleichbedeutend gebraucht werden. Um die Zeit des Sulla (um 82) hatte der König Börebistes mit Hülfe eines Propheten Dicäneus die Daken zu einem religiös-politischen Staate vereinigt, der durch Unterwerfung der Nachbarvölker rasch zu großer Macht gelangte u. den Römern furchtbar wurde, s.u. Dacien. Während seit Augustus die Daken jenseit der Donau ihre Unabhängigkeit noch über ein Jahrhundert behaupten, war das Geschick der G. südlich des Stromes entschieden, wo durch die Römer die Oberherrschaft über ganz Thracien dem Odrysenkönige übertragen ward. Vielfache Aufstände u. Kämpfe im Innern fanden in der Folgezeit Statt; unter Anderm empörten sich die G. 12 n. Chr. gegen den Odrysenkönig u. wurden erst nach langen Kämpfen durch diesen u. die Römer besiegt. In den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Fürsten Thraciens werden die G. noch bisweilen genannt, bis nach der Verwandlung des Landes in eine römische Provinz unter Vespasian (um 73 n. Chr.) ihr Name völlig verschwindet. Doch lebte er im Gedächtniß der Dichter u. Gelehrten fort u. ging im 3. Jahrh. auf die deutschen Gothen über, auf die er gleich nach ihrem ersten Erscheinen an der Donau in den einstigen Wohnsitzen der alten G., angewendet wurde u. auch bei den späteren Dichtern u. Rhetoren, weniger bei den eigentlichen Geschichtsschreibern, angewandt blieb; nur Jordanes hielt die G. für Vorfahren der Gothen u. in neuerer Zeit I. Grimm (Über Jornandes u. die G., Berl. 1847). Doch gehörten die G. aller Wahrscheinlichkeit nach zu den thracischen Völkern, mit denen sie auch Vieles in Sitten u. Gebräuchen gemein hatten. Sie werden zwar als roh u. ungebildet, aber als kriegerisch u. tapfer geschildert. Den Griechen fiel an den G. namentlich der ausgebildete Cultus des Zamolxis (s.d.), sowie die Sitte der Vielweiberei u. die Unmäßigkeit in der Geschlechtsliebe auf. Vgl. Bessell, De rebus geticis, Gött. 1854; Rhusopulos, De Zamolxide, Gött. 1852.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 305-306.
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