L'Hassa

[331] L'Hassa (H'Lassa, tibet., d.i. Götterstadt), von den Mongolen gewöhnlich Monhe Dhot (d.i. das ewige Heiligthum) genannt, die Hauptstadt Tibets u. die Metropole des Lamaismus, liegt in einer fruchtbaren Hügellandschaft, ist in einem Thalbecken erbaut, wird von allen Seiten von Bergen u. Hügeln umragt u. liegt am Flusse Tsangtschhu (mongol. Galdschao Müren), einem Nebenfluß des Brahmaputra. Die Stadt, 2 Stunden im Umfang, ist seit 1722 mit einem Steindamm umschlossen; ihre weißen Häuser, die goldstrahlenden Kuppeln u. Thürme der zahlreichen Lamaklöster u. Tempel, die Gruppen uralter Bäume, welche die Vorstädte umkränzen, gewähren einen reizenden Anblick; die Hauptstraßen sind breit u. geradlinig; die meisten Häuser aus Stein od. Ziegeln, nur wenige aus Erde, die eines Viertels aber sämmtlich aus Ochsen- u. Bockshörnern aufgeführt, welche durch Mörtel verbunden werden. Unter den Gebäuden ragen in der Stadt die geistlichen durch ihre Pracht u. Größe hervor; das Centrum derselben ist das kolossale Tempelkloster Labrang, im 7. Jahrh. gegründet, im 17. Jahrh. restaurirt u. umgebaut. Das Hauptgebäude erhebt sich in drei [331] Stockwerken; durch eine mit sechs riesigen Säulen, Schnitzwerken, Vergoldungen etc. geschmückten Eingangshalle gelangt man in den Vorhof, der in eine große Säulenhalle u. durch Säulenreihen in drei Langschiffe u. zwei Querschiffe getheilt wird; letztere bilden den Hintergrund u. sind durch silbernes Gitterwerk von den Langschiffen getrennt. Aus dem hintersten Querschiff leitet eine Treppe hinauf zum Allerheiligsten, das wiederum ein Querschiff zur Vorhalle hat; in der äußersten (westlichen) Nische des eigentlichen quadratischen Sanctuarium thront das Bild des Buddha Sakyamuni, am Eingange desselben befinden sich die Thronsessel des Dalai-Lama u. seiner Großwürdenträger. Außer dem genannten Buddhabilde umschließt der Tempel noch eine Menge andere Idole, Heiligthümer, Reliquien, Weihgeschenke, goldene u. silberne Gesäße, die jährlich einmal öffentlich ausgestellt werden. Die umgebenden Nebengebäude des Haupttempels enthalten den Staatsschatz, die Magazine für die gottesdienstlichen Gegenstände, die Zellen für mehrere tausend Mönche, die Lehrsäle, in den oberen Stockwerken auch die Wohnungen der höchsten Staatsbeamten u. besondere Zimmer für den Dalai-Lama; das Ganze ist mit einer Mauer umzogen. Labrang ist zugleich auch Regierungspalast, Sitz der Centralbehörde u. jedenfalls auch des Nominhan od. weltlichen Regenten (s.u. Lamaismus u. Tibet) Nordwärts von Labrang liegt das Tempelkloster Ramotschhe; hier das zweite Dschu od. heilige Buddhabild, das Idol des Nanda, des Stiefbruders u. Jüngers Sakyamuni's, eine Schule für Magie u. Zauberei. Außerdem das Kloster Moru, ebenfalls mit einer Lehranstalt für Magie u. einer Druckerei; Garmakhian, das Mutterkloster der Tscholtschong (s.u. Lamaismus). Auf der nordwestlichen Seite L-s der dreigipfelige Hügel Potala; auf dem mittelsten Gipfel, dem Phagmori (d.i. Sauberg), stand früher der Palast der Könige, welcher im 17. Jahrh. wieder aufgebaut, mit vielen Tempeln, Thürmen, Pavillons etc. umgeben, in ein Kloster umgewandelt u. zur Residenz der Dalai-Lamas erhoben wurde. Der Tempelpalast hat im Centrum vier Stockwerke u. endigt in einer ganz mit goldenen Platten bedeckten Kuppel, welche von einer Gallerie umgeben wird, von welcher herab der Dalai-Lama auf die Schaaren der am Fuße des Berges betenden Gläubigen herabzusehen pflegt. Die Nebengebäude sollen 10,000 Zimmer zur Beherbergung von ebensoviel Lamas umfassen. Die beiden großen Alleen, welche von L. nach Potala führen, sind stets von Wallfahrern u. Priestern belebt. Auf dem südwestlichen Nachbargipfel steht ein Kloster zur Aufnahme fremder Lamas, auf dem nordöstlichen hingegen findet sich ein großes Bassin, darin eine Insel mit Pavillon; drei Sommergärten für den Dalai-Lama liegen in der Umgebung Potalas. Im District der Stadt L. zählt man allein 30 große Lamaklöster, abgerechnet zahllose kleinere geistliche Ansiedelungen; darunter befinden sich auch die Mutterklöster der Gelbmützen: Sera (das goldene), 1 Stunde nördlich von L., 1419 gestiftet, mit drei großen Tempeln u. 15,000 Bewohnern; Brebung (Reißhaufen), 1416 gegründet, 2 Stunden westlich von L., mit einem großen u. vier kleineren Tempeln, soll ebenfalls von 15,000 Lamen bewohnt werden, darunter namentlich viele Mongolen, die hier studiren; endlich Galdan (Himmelsfreude), das älteste Kloster der Gelbmützen, 1409 angelegt, 3 Meilen östlich von L., zählt 8000 Bewohner u. bewahrt den unverwesbaren heiligen Leichnam Tsonkhapas, des Stifters der Gelbmützen. Etwas weiter entfernt liegt das alte, schon um die Mitte des 8. Jahrh. gestiftete Kloster Samje. Von der Bevölkerung L-s, welche man auf 40–80,000 angibt, gehören 2/3 dem geistlichen Stande an; täglich treffen zahllose Schaaren von Pilgern u. Wallfahrern aus allen Ländern des Lamaismus ein. Die Gewerbthätigkeit, welche sich auf Webereien, Fabrikation von Räucherstäbchen, Götterbildern, Gefäßen, Schnitzarbeiten u. dergl. erstreckt, ist nicht unbedeutend, ebenso der Handel, welcher sich jedoch großentheils in den Händen der Chinesen, Kaschmirer u. Nepalesen befindet.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 331-332.
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