Stipulation

[839] Stipulation (v. lat. Stipulatio), im System der römischen Contracte eine besondere Art der Vertragsschließung, mittelst welcher die beiden Paciscenten dadurch in ein civilrechtlich klagbares Obligationsverhältniß traten, daß der eine (Stipulator) mit feierlichen, in eine Frage gekleideten Worten (z.B. dari spondes? dabis? promittis?) den Andern (Promissor) anredete, u. Letzter dann die der Frage genau entsprechende Antwort (z.B. also spondeo, dabo, promitto) folgen ließ. Die Sprache, in welcher die S. geschehen mußte, war anfänglich ausschließlich die lateinische; später genügte jedoch jede den Contrahenten überhaupt verständliche, u. Kaiser Leo erklärte endlich auch die alten herkömmlichen Worte für überflüssig u. jede den Verhältnissen angemessene Form für gültig. Selbst schriftlich konnte die S. in der späteren Kaiserzeit zu Stande kommen, indem man sie entweder ganz mit den mündlichen Solennitäten in eine Niederschrift (Cautio od. Chirographum) brachte, od. andern schriftlich concipirten Verträgen als eine Schlußclausel beifügte. Ursprünglich konnte man ferner weder Leistungen eines Dritten versprechen, noch einem Dritten Leistungen[839] des Promittenten stipuliren; indessen betrachtete man später die S., daß einem Dritten gegeben werden solle, auch als gültig, sobald der Stipulator nur dabei interessirt war, daß der Dritte die Leistung erhielt. Gegenstand der S. kann sowohl ein Dare, d.h. die Übertragung des Eigenthums an einer Sache, als ein Facere, d.h. jede andere obligationsmäßige Leistung, sein. In dieser Hinsicht konnte der S. eine ursprüngliche Verbindlichkeit zu Grunde liegen. Vielfach wurde aber die S. auch angewendet, um ein bereits bestehendes Obligationsverhältniß einfacher u. kräftiger zu machen, indem man die in dem bestehenden Obligationsverhältniß liegenden Leistungen in die Form einer S. brachte. Auf diese Weise konnte man selbst formlosen Verträgen (Pacta nuda), welche nach Römischem Rechte keine Klagbarkeit hatten, die Klagbarkeit geben, ebenso auch blos natürliche Verbindlichkeiten in civilrechtlich wirksame verwandeln. Zu diesem Zwecke diente namentlich die S. Aquiliana, welche bes. angewendet wurde, um verschiedenartige Obligationsverhältnisse mit einem Schlage aufzuheben, indem man sie zunächst in eine S. verwandelte u. dann die für S-en gebräuchliche einfache Aufhebungsform der Acceptilatio anwendete. Die letztere bestand, gleich der Eingehungsform der S., ebenfalls in Rede u. Gegenrede. Häufig war auch die Anwendung der S-en im altrömischen Proceß, indem entweder der Prätor od. der ernannte Judex die Parteien zur Leistung einer solchen anhalten konnte (Stipulationes praetoriae u. S. judiciales). Die S. bildete in dieser Hinsicht zuweilen eine besondere Einleitungsform für das Proceßverfahren, das Sponsione contendere, in welchem Falle die S. als Sponsio praejudicialis bezeichnet wird. Die S. hatte dann zuweilen nur den Zweck dem Proceß die Form der Verhandlung über die Summa sponsionis zu geben, während der Inhalt des Rechtsstreites der ursprüngliche blieb; der Beklagte hatte daher, selbst wenn er verurtheilt wurde, nicht die Sponsionssumme, sondern die ursprüngliche Leistung zu prästiren. Dahin gehörte z.B. die S. pro praede litis et vindiciarum bei der Rei vindicatio, welche von dem Beklagten auf Herausgabe der Sache u. Früchte geleistet werden mußte. Zuweilen war aber auch die S. eine gegenseitige, mit einer Restipulatio des Beklagten verbundene, wobei alsdann der Zweck war den Unterliegenden zugleich um die gegenseitig stipulirte Summe zu strafen (Sponsio poenalis). Die Klage aus einer S. war stets eine Actio stricti juris, wenn auf eine gewisse Geldsumme stipulirt worden war, die Condictio certi, bei einem andern Certum die Condictio triticaria, bei einem Incertum die Actio ex stipulatu. Die S. tribunitia kam vor, wenn die dem Ehemanne in die Ehe zugebrachten Güter nach erfolgter Ehescheidung vermöge vorausgegangener S. mit der Actio ex stipulatu zurückgefordert wurden, dem Ehemann aber, entweder weil er sich für die Ehefrau obligirt od. weil er auf das Heirathsgut Verwendungen gemacht hatte, Gegenansprüche zustanden. Wegen dieser Gegenansprüche pflegte sich der Ehemann dann mittelst der S. tribunitia seine Rechte zu salviren. Die S. fructuaria kam bei der interimistischen Regelung des Besitzes während eines Rechtsstreites um den Besitz vor, indem dieser Besitz nach einer Licitation (Fructus lícitatio) dem zugesprochen wurde, welcher die höchste Summe bot, der Letztere aber diese Summe als Strafe dem Gegner zu zahlen versprechen mußte, wenn er dennoch den Proceß verlieren würde. Mittelst der Stipulationes partis et pro parte versprach der Erbe, welchem die Herausgabe einer Quote der Erbschaft an einen Andern als Legat auferlegt war (Partitio legata), dem Legatar alles noch Einkommende pro rata mitzutheilen, der Legatar dagegen, dem onerirten Erben jeden Nachtheil pro rata zu ersetzen. Eine accessorische Berechtigung durch S. fand in der Form der Adstipulatio Statt; der Gläubiger konnte das, was er stipulirt hatte, von einem Andern ebenfalls stipuliren, diesen also Nebengläubiger werden lassen, damit dieser die Forderung geltend machen möchte, wenn er etwa selbst verhindert sein sollte dieselbe zur Geltung zu bringen. Insbesondere wurde diese Adstipulatio als S. post mortem, d.h. wenn Jemand sich nach seinem Tode Etwas versprechen ließ, angewendet, weil aus einer solchen S. für den Stipulator u. dessen Erben eine Forderung ursprünglich nicht entstand, wohl aber der Adstipulator in der Lage sein konnte die Schuld nach dem Eintritt jenes Ereignisses noch einzuklagen. Nachdem aber Justinian die S. post mortem auch für die Erben gültig erklärt hatte, verlor der Gebrauch der Adstipulatio sich als unnöthig von selbst. In dem heutigen Gemeinen Rechte sind die formellen Eigenthümlichkeiten der S. ganz hinweggefallen; es kommt für die Gültigkeit aller Verträge nur darauf an, ob ihnen ein erlaubter Obligationsgrund (Causa) zu Grunde liegt. Vgl. Liebe, Die S. u. das einfache Versprechen, Braunschw. 1840; Gneiß, Die formellen Verträge des neuern römischen Obligationenrechts, Berl. 1845.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 839-840.
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