Tamulische Sprache

[226] Tamulische Sprache, die bekannteste u. wichtigste unter den in der südlichen Halbinsel Vorderindiens verbreiteten Dekan- ob. Dravida-Sprachen, zu welchen außerdem noch das Telugu (Telinga), Canaresische (Carnata), Badaga, Malayalam (Malabarische) u. Tulu gerechnet werden. Das Tamulische wird nördlich bis über Madras, westlich bis Bangalore, südlich bis Cap Comorin, östlich bis aus Meer gesprochen. Die genannten Sprachen bilden einen eigentümlichen, ursprünglich selbständigen Sprachstamm, welcher in Stoff u. Formen nichts mit dem Sanskrit gemein hat u. wahrscheinlich den Ureinwohnern Indiens angehört, welche von dem einwandernden Sanskritvolke nach dem Süden u. in die Gebirge zurückgedrängt worden sind. Die T. S. ist in Grammatik u. Wortschatz sehr reich u. eigentümlich. Sie wird mit einer eigenen, zum Sanskritsystem gehörigen Schrift geschrieben. Man unterscheidet zweierlei Dialekte, den gemeinen od. Kodun-Tamul, u. den höheren od. Shen-Tamul. Das Nomen hat acht Casus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Accusativ, Vocativ, Localis, Causalis u. Socialis, in zwei Zahlen, Singularis u. Pluralis. Es gibt ein höheres u. niederes Genus, ersteres für vernünftige Wesen, zerfällt in Masculinum u. Femininum, letzteres für andere Substantiva, entspricht dem Neutrum. Die Adjectiva sind indeclinabel u. werden stets ihrem Substantiv vorangestellt. Es gibt Personal-, Demonstrativ- u. Interrogativpronomina, aber weder Relativ noch Possessiva. Das Verbum hat einen Indicativ mit drei Tempora: Präsens, Präteritum u. Futurum, ferner einen Imperativ u. Infinitiv, u. Formen, welche dem Participium u. Gerundium entsprechen. Es gibt ein Activum u. Passivum u. außerdem noch Formen für causale u. negative Verba. Auch die übrigen Redetheile sind vorhanden. Der Anfang des Vaterunser lautet: Wanangel irrukira engöl bidawe, ummureiam namam ellarukkum suttamairukkak karawadu, d.h. Himmeln- in seiend unser Vater, dein Name Allen rein sei. Grammatiken von Ziegenbalg, Halle 1716; Anderson, Lond. 1821; Beschi, Madras 1813, 1822, 1848; Rhenius, ebd. 1836; Wörterbücher von Blin, Par. 1831; von Rottler, Madras 1834. Ihre Ausbildung als Schriftsprache erhielt das Tamulische bes. am Hofe der Pandya-Könige zu Madura, wo auch eine berühmte Akademie war. Mit der Literatur, welche bes. reich an sententiösen u. philosophischen Werken, sowie an lyrischen Gedichten ist, hat sich in neuester Zeit Graul beschäftigt, welcher auch eine Bibliotheca tamulica, Lpz. 1854–56, 3 Bde., herausgegeben hat.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 226.
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