Hessen

[274] Hessen, ein Theil des ehemaligen deutschen Reiches, nahe am Rhein, theilweise auf beiden Ufern desselben gelegen. Es gehörte ehemals zum Lande der Katten, dann, als die Franken ihre Macht nach allen Seiten hin vergrößerten, zu dem ostfränkischen Reiche, und zerfiel zuletzt in eine Reihe kleiner Fürstenthümer: Hessen-Kassel, H.-Darmstadt, H.-Homburg, H.-Rheinfels, H.-Marburg-Philippsthal, H.-Rothenburg. Selbstständige Staaten bilden nur noch folgende 1) Hessen-Kassel, das Kurfürstenthum, mit[274] 208 Quadrat Meilen und 650,000 Ew. Es ist fast durchgehends Hochland, von vielen Bergreihen durchzogen und erstreckt sich vom Beginn der Weser bis zum Main. Im Süden berührt der Spessart die Grenze, ein kleines Gebiet im Osten, der Thüringerwald. Die zahlreichen Bergzüge sind nicht viel über 1000 Fuß hoch; der höchste Punkt mit 2900 der Inselsberg. Reich ist das Land, dessen Typus schon süddeutschen Charakter trägt, dessen Berg- und Thalzüge romantisch und voll herrlicher Partien sind, dessen Vegetation, kommt man vom Norden herein, schon üppig und schwellend absticht, an Grenz- und Binnenflüssen: die Werra, die Fulda, die Diemel, Lutter, Ems, der Main etc. Der Boden liefert Getreide, Mais, Hirse, Flachs in großer Menge, Tabak, Hanf, Rübs, Cichorien, Krapp, Hopfen etc; bedeutend ist der Obstbau, im Süden gedeiht ziemlich viel Wein. An Mineralien liefert das Land viel Eisen, Blei, Kobalt, weniger Kupfer, etwas Waschgold in der Eder; hinreichend Salz, herrliche Thonarten, Steinkohlen, Gips, Alabaster, Basalt, Lava, Achate u. s. w. – Dem Erdschooße entströmen heilsame Mineralquellen, die Luft ist gesund, im Winter nicht allzu rauh, im Sommer mild. Die Viehzucht ist bedeutend, die Bienenzucht nicht unwichtig. Die Hauptbeschäftigung bildet Leineweberei; doch sind nur in den größern Städten blühende Gewerbszweige. Die Einwohner sind größtentheils lutherisch. Die Hauptstadt ist Kassel (s. d.); andere bedeutende Städte sind: Hanau, Fulda, Marburg etc. – Die Einwohner sind ein schöner Menschenschlag, echte Nachkommen der Katten, meist groß von Gestalt, blauäugig, blond, von kräftigem Körperbau. Ihr Charakter zeichnet sich durch Treuherzigkeit, Biedersinn, Muth und Kühnheit aus; doch fehlt ihnen die Besonnenheit nicht. Man legt ihnen Auswanderungslust zur Last, und in der That sind sehr viele Hessen nach Amerika in's Elend gezogen. Die Frauen sind meist wohlgestaltet, lebhaft, gefühlvoll, häuslich, voll Bildungseifer; es gibt zahlreiche Schönheiten unter ihnen, ihre Sprache ist lieblich, [275] ihr Gesammtausdruck wohlthuend. – 2) Hessen-Darmstadt, mit 153 Quadrat M. und 750,000 Ew. Das Land zerfällt in weit getrennte Theile: nördlich Oberhessen, südlich Starkenburg und das Rheinland. Jenes ist mehr gebirgig; im Westen dehnt es sich bis zum Taunus aus. Die höchste Spitze ist der Vogelsberg, 2400 F. Der nordwestliche Landstrich schließt sich an den Westerwald. Zu nennen sind noch der Odenwald, das Rodhaargebirge, das Wasgaugebirge. Der Rhein berührt 15 Meilen weit das hessische Gebiet; er empfängt die Nahe, Salze, den Main, die Moldau und Weschnitz. Im Süden ist der Neckar, im Norden die Lahn und die Ohm. Die Güte des Bodens ist verschieden. Außerordentlich fruchtbar ist die Wetterau und Rheinhessen; dagegen gibt es an der Nahe Sandflächen, und viele Landstrecken am Odenwald, Vogelsberg und Westerwald sind öde und steril. Hier ist auch das Klima rauh und unfreundlich. Die Hauptprodukte sind Obst, darunter Kastanien und Mandeln, Wein am Main, Neckar und Rhein, Getreide, Flachs, Tabak, Hopfen, Futterkräuter etc. Die Viehzucht ist sehr bedeutend, die Fischerei im Rhein liefert reiche Ausbeute. Das Mineralreich liefert Eisen, viel Braunkohle, Porzellan- und Fayencethon, Sandsteine. Reich ist das Land an Mineralquellen, die aber wenig benutzt werden. Die Industrie ist bedeutend, besonders die Woll-, Baumwoll- und Leinewandweberei. Der Handel ist lebhaft, Offenbach, der wichtigste Fabrik- und Speditionsort; die Messen daselbst sind von Bedeutung. Das alte Hessen gehörte ursprünglich zum Herzogthum Franken; später erbte es Heinrich von Brabant und wurde 1292 erster Landgraf von Hessen. Durch Philipp's des Großmüthigen Theilung entstanden 1567 die beiden, noch jetzt blühenden Häuser Kassel und Darmstadt. Zur Darmstädter Linie gehört auch die von Homburg. 1803 und später 1806 durch die Rheinbundsacte wurde es sehr vergrößert; 1805 mußte es zwar einige Landestheile abtreten, wurde aber später entschädigt. – Die bedeutendsten Städte sind Darmstadt, Mainz, Gießen, Worms[276] Friedberg etc. – 3) Hessen-Homburg, Landgrafschaft mit 7¾ Quadrat M. und 23,500 Einwohnern, bestehend aus zwei Theilen: Homburg vor der Höhe und Meisenheim. Jenes wird von Nassau und Oberhessen eingeschlossen, dieses liegt am Abhang des Hundsrücks. Der Boden ist fruchtbar; er liefert Wein, Getreide, Holz, Eisen, Steinkohlen. Die Industrie beschäftigt sich mit Woll- und Leineweberei. Stifter der Homburgischen Linie war Friedrich, Sohn des Landgrafen Georg, seit 1622; sie stand, einige Zeit unterbrochen, bis 1816 unter darmstädtischer Landeshoheit, wurde aber 1817 unter die deutschen Bundesstaaten aufgenommen und durch die Herrschaft Meisenheim vergrößert. Die Hauptstadt ist Homburg vor der Höhe.

V. u. n.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 274-277.
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