Quantität

[178] Quantität (quantitas, posotês): die Eigenschaft des Quantum, der Größe, Menge, Zahl (s. d.). Die »Quantität« ist ein Grundbegriff, der seine Quelle in der Möglichkeit des Zusammenfassens distincter gleichartiger Daten in eine (Rechnungs-)Einheit des Denkens hat. Der Quantitätsbegriff ist ein Niederschlag der vergleichend-messenden Function der Apperception (s. d.). Ist jede Quantität auch bloß relativ, bedingt durch das Verhältnis des quantitativ Bestimmten zum Subject, so hat doch das Quantitative ein Fundament (s. d.) in den Erlebnissen und in den Objecten selbst, durch welches das Denken sich leiten läßt. Auf Quantitäten das Qualitative (s. d.) zurückzuführen, ist das Streben der Physik, der quantitativen, mechanistischen (s. d.) Naturauffassung.

Das Quantitative schätzen schon die Pythagoreer (s. Zahl) und die Atomistiker (s. d.), PLATO (s. Mathematik). Eine Definition des Quantum[178] gibt ARISTOTELES: poson legetai to diaireton eis enyparchonta, hôn hekateron ê hekaston hen ti kai tode ti pephyken einai (Met. V 13, 1020a 7). Das poson gehört zu den Kategorien (s. d.). Die Relativität der Quantität erörtert PLOTIN (Enn. VI, 3, 11).

Die Scholastiker bestimmen die Quantität als »mensura substantiae« (THOMAS, Sum. th. I, 28, 2c). »Quantum« ist, »quod est divisibile in ea, quae insunt« (5 met. 15a). Es gibt »quantitas absoluta, comparata. continua, discreta. determinata, indeterminata. per accidens, per se«. Größe ist »quantitas continua intrinseca« (Sum. th. I, 42, 106 1). Im Sinne des Aristoteles lehrt über Quantität SUAREZ, welcher das Ausschließen eines, Teiles der Quantität durch die anderen betont (Met. disp. 40, sct. 1 squ.). – CAMPANELLA erklärt: »Quantitas est intima mensura substantiae materialis« (Dial. I, 6). Nach MICRAELIUS zerfällt die Quantität in stetige Quantität, d. i. Größe, discrete Quantität, d. i. Vielheit oder Zahl, in intensive Quantität (»quantitas virtutis«) und extensive Quantität (Lex. philos. p. 941 f.). »Quantitatis propriissima natura est, partes extra se habere« (l. c. p. 942).

Nach HOBBES ist die Quantität »dimensio determinata« (De corp. C. 12). Nach DESCARTES ist die Quantität real nicht von der ausgedehnten Substanz verschieden, nur begrifflich unterschieden (»quippe quantitas a substantia extensa in re non differt, sed tantum ex parte nostri conceptus, ut et numerus a re numerata«, Princ. philos. II, 8. vgl. dagegen SUAREZ, Disp. met. sct. II, 8.) CHR. WOLF bestimmt Quantität als »discrimen internum similium, hoc est illud, quo similia salva similitudine intrinseca differre possunt« (Ontolog. § 348). Nach CRUSIUS ist Größe »diejenige Eigenschaft der Dinge, vermöge deren ein gewisses betrachtetes Wesen mehr als einmal darinnen gesetzet wird« (Vernunftwahrh. § 157). Nach MENDELSSOHN sind Quantitäten die »Unterscheidungszeichen«, welche zu erkennen geben, »ob die Qualität der Sache mehr oder weniger zukomme« (Üb. d. Evid. S. 46). Eine jede endliche Qualität hat ihre Quantität (l. c. S. 49). Quantität kommt zwar der Sache innerlich zu, wird aber nur durch Vergleichung erkannt (l. c. S. 46). Vgl. PLATNER, Log. u. Met. S. 137 f.

Bei KANT ist die »Quantität« eine Klasse der Kategorien (s. d.). Der Begriff einer Größe ist »das Bewußtsein des mannigfaltigen Gleichartigen in der Anschauung überhaupt, sofern dadurch die Vorstellung eines Objects zuerst möglich wird«. Die Wahrnehmung eines Objects als Erscheinung ist »nur durch dieselbe synthetische Einheit des Mannigfaltigen der gegebenen sinnlichen Anschauung möglich, wodurch die Einheit der Zusammensetzung des mannigfaltigen Gleichartigen im Begriff einer Größe gedacht wird. d. i. die Erscheinungen sind insgesamt Größen, und zwar extensive Größen, weil sie als Anschauungen im Raume oder der Zeit durch dieselbe Synthesis vorgestellt werden müssen, als wodurch Raum und Zeit überhaupt bestimmt werden« (Krit. d. r. Vern. S. 159). »Eine extensive Größe nenne ich diejenige, in welcher die Vorstellung der Teile die Vorstellung des Ganzen möglich macht« (l. c. S. 160). Nach SAL. MAIMON ist Größe »Vielheit als Einheit oder Einheit als Vielheit gedacht« (Vers. üb. d. Transcend. S. 120). – SCHELLING leitet die Kategorie der Quantität aus der anschauenden Reflexion der Intelligenz auf sich selbst ab (Syst. d. tr. Ideal S. 311). So auch ESCHENMAYER aus der Ichheit: »Das Ich ist die absolute Einheit seines ganzen Systems und dadurch sich selbst der ursprüngliche Maßstab aller Quantität.« »Was geringer ist, als es selbst, d. i. als der Maßstab seiner Einheit, das muß ihm[179] als Vielheit erscheinen.« »Was hingegen höher liegt, als das Ich, da reicht der Maßstab seiner Einheit nicht zu, um es auszumessen, und dies muß ihm notwendig als Allheit erscheinen« (Psychol. S. 302 f.). HEGEL bestimmt die Quantität als Moment der dialektischen Entwicklung der Idee (Encykl.). So auch K. ROSENKRANZ, welcher definiert: »Der Begriff des Daseins, als dessen, was in seinem Für-sich-sein als solchem auf anderes Dasein sich bezieht, also seine Grenze nicht nur in sich, vielmehr ebenso in anderem, außer sich hat, ist der Begriff der Quantität« (Syst. d. Wissensch. S. 28). Zu unterscheiden sind (wie bei HEGEL) reine Quantität, bestimmte Quanütät oder Quantum, Grad (l. c. S. 28 ff.). Nach HILLEBRAND ist Qunntität »dasenige, wodurch eine Einzelexistenz sich als eine reine Selbstpositivität behauptet« (Philos. d. Geist. II, 45). – L. KNAPP erklärt: »Alle Verschiedenheit ist Quantität, also nur ein Mehr oder Weniger, ein Hier oder Dort des einen identischen Stoffes. Alle Qualität ist daher nur vermeintlich. sie ist unbekannte Quantität.« »Aller Naturproceß ist Mechanismus« (Syst. d. Rechtsphilos. S. 25). Nach FECHNER objectiviert die Naturwissenschaft »quantitativ auffaßbare Bestimmungen unserer äußeren Wahrnehmungen als der Natur außer uns zukommend« (Tagesans. S. 234). Nach B. ERDMANN sind Größen »Gegenstände, sofern sie, mit ähnlichen verglichen, die Beziehungen des Größer, Gleich oder Kleiner zulassen« (Log. I, 106). Nach E. v. HARTMANN ist die Quantität eine Kategorie (s. d.). So auch nach H. COHEN (Log. S. 410 ff.). HÖFFDING bemerkt, die quantitativen Bestimmtheiten, Ausdehnung und Bewegung, seien zuletzt auch »faktische Eigenschaften, die an und für sich ebensowohl eine Erklärung nötig haben könnten wie die speciell sogenannten Sinnesqualitäten« (Philos. Probl. S. 49). – A. HÖFLER versteht physikalisch unter den phänomenalen Quanta Weg und Zeit, unter den nichtphänomenalen Masse und Kraft (Zeitschr. f. Psychol. Bd. 8, S. 49). Vgl. J. BERGMANN, Der Begriff der Quantität, Zeitschr. f. Philos. 120. Bd., S. 20 ff., 129 ff. Vgl. Mechanistische Weltanschauung.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 178-180.
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