Vordringen der Arier. Das Pferd. Die Kossaeer

[651] 455. Die chetitische Invasion ist die erste der großen Völkerbewegungen dieser Zeit gewesen. Auf sie folgt eine zweite, nicht weniger tiefgreifende Bewegung, die von Osten ausgegangen ist. Den Anstoß hat das Vordringen arischer Stämme gegeben, die etwa gegen Ende des dritten Jahrtausends die Länder östlich vom Kaspischen und Aralsee besetzt hatten und sich von hier aus einerseits nach Südosten ins Indusgebiet, andrerseits nach Westen über das iranische Hochland hin ausbreiteten und dadurch die hier ansässigen Völkerschaften in Bewegung brachten. Spätestens seit etwa 1600 treffen wir dann die Arier selbst in Mesopotamien und Syrien (§ 465). Es kann nicht zweifelhaft sein, daß wie den Indogermanen überhaupt so den Ariern das Pferd vertraut gewesen ist; zahlreiche mit asva »Pferd« gebildete arische Eigennamen aller Zeiten beweisen, wie eng sie mit dem Roß verwachsen waren. Es diente weniger zum Reiten als zum Ziehen der Wagen, auf denen man bei den Wanderfahrten und Kriegszügen und ebenso bei den Rennspielen über weite Strecken dahinjagte (§ 577). Den Kulturländern des Westens dagegen ist das Pferd bis zum Beginn des zweiten Jahrtausends fremd, Sinear nicht minder wie Aegypten; zum Ziehen des Wagens benutzte man (außer Rindern an schweren Karren) nur die Esel, mit denen z.B. Gudeas Wagen bespannt gewesen ist, während der Wagen, auf dem der Gott Ningirsu einherfährt, von phantastischen Tieren gezogen wird (§ 410). Auch im Recht Chammurapis werden sowohl bei Aufzählung des Besitzes (§ 7. 8) wie in den Bestimmungen über den Tierarzt (§ 224f.) nur Rinder und Esel, sowie Schafe und Schweine genannt, dagegen Pferde nicht. Wenig später kommen sie zum ersten Male in einer privaten Urkunde vor, welche die Weisung enthält, ihnen Futter zu liefern; etwa [651] um 2000 mögen also die ersten Pferde nach Sinear gekommen sein. Woher sie stammen, läßt die ideographische Schreibung des Wortes für Pferd (sisû): »Esel des Berglandes« deutlich erkennen; sie boten eben für die Esel einen wesentlich besseren Ersatz. Sie werden niemals zum Reiten verwendet, sondern lediglich an den Wagen geschirrt, vor allem im Kriege. Der Kriegswagen hat sich dann in den folgenden Jahrhunderten über die ganze vorderasiatische Welt, sowie Aegypten, Kreta und Griechenland verbreitet und der Kriegführung vom sechzehnten Jahrhundert an einen ganz neuen Charakter gegeben; dagegen ist das Reiten allen diesen Gebieten noch Jahrhunderte lang völlig fremd geblieben.


Über das erste Auftreten der Arier in der Geschichte s.m. Aufsätze Ber. Berl. Ak. 1908, 14ff. und ausführlicher in der Z. f. vgl. Sprachwiss. XLII (die ältesten datierten Zeugnisse der iranischen Sprache und der zoroastrischen Religion), S. 16ff. Was wir früher nur aus Eigennamen und anderen Indicien erschließen konnten, ist durch die von WINCKLER aufgedeckten und besprochenen Urkunden von Boghazkiöi (Mitteil. D. Orientges. 35, 1908) in überraschendster Weise bestätigt worden: sie zeigen, daß im Reich Mitani zu Anfang des 14. Jahrhunderts neben einheimischen echt arische Götter verehrt wurden und die Dynastie zweifellos arisch gewesen ist. Nach WINCKLERS Angaben werden die arischen Elemente in Mitani mit dem Namen Charri bezeichnet, s. Orient. Lit.-Z. XIII 291ff., wo WINCKLER darauf hinweist, daß auch in der susischen Version der Dariusinschriften der Name der Arier mit anlautender Aspirata Harrija geschrieben wird (vgl. § 467 A.). – Ältestes Vorkommen des Pferdes in Babylonien: UNGNAD, Orient. Lit.-Z. X 638f. (»nach der Schrift etwa Zeit Chammurapis oder Samsuilunas«). Viergespann mit Pferden auf dem Siegelabdruck einer kappadokischen Tafel § 435 A., vgl. § 520 A. In der Kossaeerzeit wird das Pferd dann oft erwähnt.

456. In den folgenden Jahrhunderten treffen wir zahlreiche Dynasten mit arischen Namen in Mesopotamien und Syrien (§ 468); diese Gebiete sind also nicht nur von kleinasiatisch-chetitischen, sondern auch von Osten her von arischen Stämmen überschwemmt worden. Aber schon wesentlich früher haben die Arier auf den in den westlichen Gebirgen Irans sitzenden Volksstamm der Kaššû eingewirkt. Bei einem Feldzuge Sanheribs im Jahre 703 erscheinen diese als ein kriegerischer [652] Stamm in den wildesten Teilen des Zagros, benachbart dem Lande Ellip (im Bereich des oberen Kerchâ = Choaspes, südwestlich von Ekbatana). Eben hier, an der Straße von Babylon nach Ekbatana, hauste nach den griechischen Berichten der wilde, zeitweilig von Alexander gebändigte Kriegerstamm der Kossaeer, der 13000 Schützen stellen konnte; wenn der Perserkönig im Winter sein Hoflager von Ekbatana nach Babel verlegt, muß er ihnen für den Durchzug durch ihr Gebiet Geschenke zahlen. Danach kann kein Zweifel sein, daß die Kaššû mit den Kossaeern identisch sind. Von ihrer Sprache sind uns zahlreiche Eigennamen und nicht wenige Wörter, mit Angabe ihrer Bedeutung, erhalten. Manche dieser Wörter kehren in den Eigennamen der benachbarten Stämme des breiten Berglandes zwischen Assyrien und Medien wieder; und Berührungen mit den Eigennamen der Mitani und Chetiter scheinen mehrfach vorzukommen, so daß die Kossaeer vielleicht mit diesen kleinasiatischen Völkern verwandt sind. Dagegen sind sie weder Indogermanen noch Semiten gewesen und haben auch mit den Elamiten oder den Sumerern zum mindesten in keiner näheren Verwandtschaft gestanden. Wohl aber haben sie arischen Einfluß erfahren: wenn sie einen Sonnengott Šuriaš verehren, der gelegentlich auch in ihren Eigennamen erscheint (neben zahlreichen nichtarischen Göttern), so kann derselbe von dem arischen Wort sûrja »Sonne« (mit der Nominativendung s) unmöglich getrennt werden. Auch sonst finden sich in ihrem Wortschatz vielleicht noch einige arische Bestandteile. So liegt die Vermutung nahe, daß sie durch die Arier nach Westen und gegen Babylonien gedrängt sind, und vorher weiter im Osten, etwa in Medien, gesessen haben.


Das Material bei DELITZSCH, Sprache der Kossaeer 1884, der ihre Stellung richtig bestimmt hat. Er hat ein kossaeisch-assyrisches Glossar von 48 Wörtern veröffentlicht; weiteres ergibt die Erklärung kossaeischer Königsnamen in der § 329 a erwähnten Liste der Könige nach der Flut (bei DELITZSCH S. 20f.). Dazu kommen zahlreiche Eigennamen in den Urkunden aus der kossaeischen Dynastie: CLAY in Bab. Exped. XIV. XV, und jetzt CLAY, Personal Names from cun. inscr. of the Cassite period. 1912, p. 36ff., wo zugleich p. 44f. die Berührungen mit Mitaninamen zusammengestellt [653] sind. Daß der kossaeische Gott Turgu mit dem chetitischen Gott Tarchu, Tarku (§ 476) identisch sei, vermutet HILPRECHT Z. Ass. VII 317. – Die Kaššû bei Sanherib: Taylorcyl. I 63ff., Keilinschr. Bibl. I 86f. [Zur Lage des benachbarten Ellip vgl. STRECK, Z. Assyr. XV 380f.] Angaben der Griechen: Strabo XI 13, 6. XVI 1, 18. Polyb. V 44; ferner die Alexanderhistoriker (Arrian VII 15. Diod. XVII 111; Nearch bei Arrian Ind. 40, 6 und Strabo XI 13, 6 bezeichnet sie als den an Medien angrenzenden Räuberstamm). Erwähnt auch Plin. VI 134. Ptol. VI 3, 3. Für die Behauptung OPPERTS, Z. Ass. III 421ff. V 106f., die LEHMANN ib. VII 328ff. Hauptprobleme S. 211f. aufgenommen hat, die Kaššû seien nicht die Kossaeer, sondern die Kissier von Susiana (§ 363), bieten die Quellen gar keinen Anhalt; daß die Kaššû nicht nach Elam gehören, wird auch durch ihre Sprache erwiesen. – SCHEFTELOWITZ, Z. f. vgl. Sprachw. 28, 1902, hat den Versuch gemacht, die kossaeischen Wörter aus dem Arischen zu deuten, muß aber dabei zu äußerst kühnen Kombinationen greifen und einen starken Lautwandel annehmen, wie er gerade in den arischen (iranischen) Dialekten der älteren Zeit nirgends nachzuweisen ist; die aus ihnen erhaltenen Wörter sind immer ganz durchsichtig. Dagegen mit Recht BLOOMFIELD, On some alleged Indoeuropaean Languages, Amer. J. of Philol. XXV. Gegen die Gleichung šuriaš, im Glossar als »Sonnengott« erklärt [neben dem einheimischen Wort sach], = arisch sûrja-s lag, abgesehen von der Tatsache, daß iaš in kossaeischen Worten sonst »Land« bedeutet [so Bur-iaš = bêl matâti], früher das Bedenken vor, daß wir iranischen Lautbestand erwarten mußten, bei dem anlautendes s in h übergeht; jetzt steht aber durch die mitanischen Götternamen (§ 455 A.) fest, daß dieser Lautwandel bei den nach Westen vorgedrungenen Ariern im 15. Jahrhundert noch nicht eingetreten war, sondern sie das ursprüngliche s damals noch ebenso bewahrt haben wie die Inder.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 651-654.
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