Wodan

[1088] Wodan, (ahd. Wuotan, ags. Vôden, altnord. Odhinn), oberster Gott der germanischen Völker. Die Römer glaubten in Wodan ihren Merkur wieder zu erkennen. Im Französischen ist der Mittwoch dem Merkur geweiht Mercredi, im Englischen aber dem Wodan Wednesday, niederl. Woensdag, westfälisch Gudensdag. Der Name hängt zusammen mit dem ahd. Verb watan, praet. wuot, unser »waten«, dessen ursprüngliche Bedeutung »durchdringen« war, und so bezeichnet denn der Name Wodan, wie der[1088] Gott bei den Altsachsen hiess, das alldurchdringende Wesen, die alldurchdringende schaffende und bildende Kraft. Von watan ist aber auch unser »Wut« abgeleitet und so tritt uns denn zuerst Wodan entgegen als Vertreter des allesdurchdringenden Elementes, der Luft, die aufgeregt, oder bildlich gesprochen, in Wut versetzt, zum Sturme wird. Als Sturmgott reitet Wodan auf milchweissem Pferde, in einen weiten blauen fleckigen Mantel gehüllt und mit einem breitkrämpigen Hute bedeckt entweder allein, oder an der Spitze der wilden Jagd und des wütenden Heeres durch die Lüfte. Der Glaube an die wilde Jagd, die wie das wütende Heer aus den als Lufthauch dem Leichnam entfliehenden Seelen der Verstorbenen besteht, gehört dem Norden Deutschlands an, während die Vorstellung des wütenden Heeres in Süddeutschland volkstümlich ist. Der Wôde jage, heisst es in Pommern, Mecklenburg und Holstein, der Wôejäger in Hannover, der Wôinjäger ziehe um in Oldenburg, wenn der Sturm durch den Wald tost. Der weite Mantel hat dem Gott in einem Teile Westfalens, im Harz und im Thüringerwald den Namen »Hackelbärend« oder »Hackelberg«, d.h. »Mantelträger«, verschafft, während er wieder in anderen Gegenden Norddeutschlands wegen seines weissen Rosses »Schimmelreiter« genannt wird. Eine Eule, Tutursel mit Namen, fliegt dem Zuge voran, Raben und Hunde mit Lichtern folgen ihm. Nur wenn man sich platt auf den Boden wirft mit dem Angesicht, kann man sich vor dem Mitgerissenwerden hüten. Schaut man zum Fenster hinaus beim Herannahen der wilden Jagd, so erhält man einen betäubenden Schlag, oder wird blind, oder wahnsinnig. Wo Wodan sein Ross weidet, da windet es fortwährend. Auf bestimmten Wegen rast die wilde Jagd dahin, besonders gern durch Häuser und Scheunen, in denen zwei oder drei Thüren hintereinander liegen. Bei solchen Durchzügen kommt es oft vor, dass der wilde Jäger einen seiner Hunde, welche seine Kinder oder Seelen von Bösewichtern sind, im Hause zurücklässt und übers Jahr wieder abholt. Der Feuerherd ist die Wohnstätte des Hundes, Asche seine Nahrung. So jagt Wodan mit seinen Hunden, denen sich oft noch eine aus Toten gebildete Schar anschliesst, entweder einem Eber, oder einem Pferde oder einem geisterhaften Weibe nach, das er endlich nach sieben Jahren einholt und vor sich hin quer aufs Ross legt. In Mitteldeutschland aber und Tirol verfolgt die wilde Jagd die sog. Moosweibchen, Lohjungfern, Holzfräulein, welche die Personifikationen des Laubwerkes sind und dem Landmann bei seiner Arbeit helfend zur Seite stehen. Wer aufgefordert in den Jagdruf des Wode und seiner Genossen einstimmt, dem schenkt er eine Pferdekeule, die sich in Gold verwandelt, wer aber höhnt auf den wilden Jäger, dem heftet er auf den Rücken oder an das Haus einen nach Schwefel stinkenden Pferdeschenkel, der nicht mehr zu entfernen ist.

Das wütende Heer ist dasselbe wie die wilde Jagd, nur ist es eben keine Jagd, d.h. keine Verfolgung irgend eines Wildes. Die verschiedenen Namen Wuotes Heer, Muotes, Wuotunges Heer, Guenis Heer gehen auf die Form Wuotanes Heer zurück, während wieder in anderen Gegenden die unheimliche Erscheinung unter den Bezeichnungen: »das Nachtvolk«, »Nachtgejäge« oder »die wilde Fahre« benannt ist. Als ein Zug von Geistern in menschlicher Gestalt, manchmal in einer grossen schwarzen Kutsche sitzend, braust das wütende[1089] Heer daher unter bezauberndem Gesang und wunderbar schöner Musikbegleitung. Wehe dem, der dem Warnungsruf des vorausschreitenden Mannes nicht gehorcht und sich nicht platt auf die Erde wirft. Entweder muss er mit rasen oder wird geblendet oder seines Hauptes beraubt. Im Berneroberland, Graubünden und Wallis erscheint das wütende Heer als Nachtvolk, Totenvolk oder Totenschar, welches mit dem Tode an der Spitze die Leichname derer herumträgt, die bald sterben müssen und so das Eintreten eines Todesfalles verkünden. Klopft das Nachtvolk an eine Thüre, so muss mitziehen oder sterben, wer ihm antwortet.

Diese Sagen beruhen alle auf Naturvorgängen. Vor dem Sturmwind wirft man sich auf den Boden, um nicht mitgerissen zu werden. Wie die wilde Jagd, so zieht auch der Wind besonders heftig durch hintereinanderliegende Thüren und Fenster. Durch den Kamin heult der Wind und wirbelt die Asche des Herdes auf, auf der Feuerstätte winselt und heult aber der Sage nach auch Wodans Hund und frisst Asche. Wodans Mantel ist der Himmel, sein Hut die Wolke. Der Sturmwind scheucht die Wolken vor sich her, der wilde Jäger das Ross, den Eber oder die Geisterjungfrau. Der Luftzug weht das Laub von den Bäumen, wie Wodans Heer die Waldgenien mit sich reisst. Der Blitz ist es, der als schweflige Pferdekeule den Spötter trifft. Die wilde Jagd, wie das wütende Herr werden begleitet von Blitz, Donner und Regen. Die schwarze Gewitterwolke ist die Geisterkutsche, der Donner ihr Rollen. Mehrfach kehrt die Sage wieder, dass Geister des wütenden Heeres eine Kuh schlachteten und verzehrten, die sie dann aus der abgezogenen Haut wieder erneuten und ins Leben zurückriefen. Es ist die Wolke als Kuh gedacht, von der die Windgeister die Seele zehren, indem sie den Regen derselben auf die Erde giessen. Nur ein kleines Wölkchen, die Haut, bleibt übrig, und aus dieser ersteht und wächst die Kuh, wie sie war, zu neuem Leben. – Im Laufe der Zeit trat an die Stelle des Wodan als Anführer des wilden Heeres ein Held der deutschen Vorzeit, so in der Lausitz und in Altenburg Dietrich von Bern, in Schleswig Herzog Abel, der seinen Bruder ermorden liess. Doch nicht nur Deutschland kennt die wilde Jagd und das wütende Heer. In Frankreich spukt sie unter dem Namen: Chasse Hérode, Chasse de Caïn, Chasse Machdbée, Chasse du diable, Chasse galerie, Chasse gayère, Chasse briquet. Ihre Anführer sind, wie teils ihre Namen andeuten, Herodes und Kain, dann in der Gegend von Tours Hugo Kapet, an anderen Orten St. Hubert und St. Eustachius. Selbst der König der Tafelrunde, Artus, wurde zum wilden Jäger gemacht. In England wird die wilde Jagd nach deren Anführer, König Herla, Herlathing genannt.

Aus der wilden Jagd oder dem wütenden Heere entwickeln sich allmählich andere Sagen. So wurde Wodan, der an der Spitze seiner Genossen das alles in Bewegung setzende Sturmlied singt, zum kunstfertigen Spielmann, wie er uns als Rattenfänger von Hameln in der populärsten Weise entgegentritt. Einen viel edleren Charakter hat Wodan in der Gestalt des alles bezaubernden Sängers Horant, der namentlich in der Gudrun bei der Entführung der irischen Königstochter Hilde eine grosse Rolle spielt.

Nahm der heidnischen Auffassung zufolge die wilde Jagd alle Seelen mit, so beschränkte das Christentum die Aufnahme dadurch,[1090] dass sie bloss aus den Geistern von Leuten bestehend gedacht wurde, die Sonntags und Werktags gejagt, das Landvolk durch Fronknechte zur Treibhatz getrieben und in ihrer wilden Lust selbst der Saaten und des Schweisses der Bauern nicht geschont hätten. Darum trügen sie zur Strafe die Köpfe unter dem Arm und ritten auf Rossen ohne Kopf.

Als die deutsche Mythologie einen immer kriegerischeren Charakter annahm, so ging dieser auch auf die wilde Jagd über, welche aus im Kampfe gefallenen Helden nunmehr zusammengesetzt war und durch ihr Erscheinen den Ausbruch eines Krieges verkündete. L'armée furieuse heisst in Frankreich der Spuk. Im Odenwald ist der durch Scheffels Gaudeamus so populär gewordene Rodensteiner der Anführer dieser wilden Scharen, welche, so oft feindliche Völker es wagen den Rhein zu überschreiten, ausbrechen aus dem Schnellertsberge und ihnen entgegentreten und erst wieder in den Berg zurückziehen, wenn die fremden Soldaten über den Fluss zurückgegangen sind. In Oberhessen ist an die Stelle Wodans sogar ein Held der neuern Zeit Karl V. getreten, der auch beim Herannahen eines Krieges mit seinem Gefolge seine Bergheimat verlässt.

Aus den Wolken quillt der Segen, strömt der Regen. Auch Wodan mit seinem wilden Heere wird so zum Regengott, zum Befruchter der Saaten, welchem von den frommen Landleuten Opfer dargebracht werden. Dieser heidnische Gebrauch herrschte noch im vorigen Jahrhundert in Mecklenburg, wo bei der Roggenernte am Ende eines jeden Feldes ein Streif Getreide unabgemäht blieb, mit dem Garben zusammengeflochten und mit Bier besprengt wurde. Mit entblössten Häuptern baten dann die Bauern Wôda um eine gute Ernte für's nächste Jahr. Ein ähnliches Opfer war noch im Anfang dieses Jahrhunderts in Lippe-Schaumburg üblich, und noch heute heisst in Hessen die letzte Garbe »Waulroggen«. In Bayern wurde Wodan als Erntegott unter dem Namen Oanswald, Uanswald, Aswald oder Oswald verehrt. War Wodan einmal Sturm-, Wolken- und Regengott, wurde das Gelingen oder Misslingen der Ernte als von ihm abhängig betrachtet, so lag es nahe ihn überhaupt zum Gott des Himmels und der Luftregionen zu machen. Er ist als solcher einäugig; denn die Sonne ist sein Auge, das Sternbild des grossen Bären sein Wagen, auf welchem er die Toten in das Seelenreich führt. Da sich Wodan jetzt zu einem Himmelsgott, zu einem milden und segenspendenden Wesen erhoben hatte, so wurden seine früheren zerstörenden Wirkungen als Sturmgott einem Eber, dem sogenannten »Windeber« zugeschrieben, mit welchem Wodan kämpft. Der Gott besiegt das Untier, stirbt dann aber selbst; der milde segnende Gott, welcher die goldne Frucht des Ackers spendet, erschien als ein sommerlicher, mit seinem Tode oder Verschwinden machte er dem frostigen Winter Platz. Im Wolkenberge, in der Wolkenburg, welche dann geschlossen ist und nicht befruchtenden Regen, sondern nur eisigen Schnee zur Erde sendet, träumt er mit seinem ganzen Heere dem Frühling entgegen. Wie als wilder Jäger, so ging als Schlafender Wodan in die Gestalten von Lieblingshelden des deutschen Volkes über. Kaiser Karl der Grosse schläft im Desenberge bei Warburg, in der Burg Herstalla an der Weser, in der Karleburg bei Löhr im Spessart, im Trautberg und Donnersberg in der Pfalz. Otto der Grosse sitzt verzaubert im Kyffhäuser. Später trat an Stelle Ottos Friedrich Barbarossa,[1091] der schlafen muss, so lange die Raben um die Burg herumfliegen. In Schottland träumt König Artus mit seiner Tafelrunde in den Hügeln von Alderley Edge. Nach einer andern Sage irrt Wodan sieben Jahre, welche die sieben Wintermonate bedeuten, als ein Verbannter herum, fern von seiner Gattin, um die der blasse, winterliche Wodan wirbt. Nach Ablauf der sieben Jahre respektive sieben Monate aber kommt er zurück, vertreibt seinen Nebenbuhler und erweckt an der Seite seiner Gemahlin alles wieder zu neuem Leben. Wieder in einer andern Fassung heisst es, der Himmelsgott jage sieben Jahre seinem Weibe nach, der Wolkengöttin, welche verzaubert ihm untreu geworden. Es ist dies die geisterhafte Jungfrau, welche schon oben als von der wilden Jagd verfolgt erwähnt wurde.

Vom 21. Dezember der Wintersonnenwende an werden die Tage wieder länger, und dies betrachtete man als eine Vorbedeutung für die Wiederkehr des Frühlings und Sommers. Die auf das Wintersolstiz folgenden »zwölf Nächte«, in England unter dem Namen Twelf Nights wohl bekannt, gelten in bezug auf das Wetter vorbedeutend für das folgende Jahr. Die Geister der Verstorbenen steigen in dieser Zeit zur Erde nieder und wandeln unter den Sterblichen. Die wütende Jagd durchtost das Land. Mit den Verstorbenen mischen sich auch die Götter unter die Menschen und verlangen Verehrung. Heilige Feuer lohen auf den Bergen zur Ehre Wodans. In den Dörfern aber wurden die Kultusgebräuche dramatisch dargestellt. Noch jetzt repräsentiert in Braunschweig, Schlesien, Schwaben und auch in England der sogenannte »Schimmelreiter« oder das Woodenhorse, Hobbyhorse den auf weissem Ross daherbrausenden Wodan. In seiner Gesellschaft sind oft ein Schmied, der den Schimmel beschlägt, ein Bär, welchen ein in Erbsenstroh gehüllter Bursche spielt, an dessen Stelle in Usedom der Klapperbock, in Schweden der Julebock, in Obersteiermark die Habergais tritt. Oft auch folgt dem Schimmelreiter Hans Ruprecht oder Knecht Ruprecht, welcher sich ja jetzt noch nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten erhalten hat und mit seinen Gaben die braven Kinder beglückt, mit seiner Rute die unartigen bestraft. Selbst Gebäcke wurden um diese Zeit in Pferdeform gemacht. Noch einmal tritt der Winter in seine Rechte, dann aber ergreift der segenspendende Sommergott wieder dauernd die Herrschaft über die im frischen Schmucke prangende Erde. Im Mai schlägt Wodan in entscheidender Schlacht den kalten Herrn des Winters aus dem Felde. In England zieht dann Robin Hood mit seinen fröhlichen Jagdgesellen ein. Wieder spielt bei den Frühlingsfestlichkeiten, wie sie in den zwölf ersten Maientagen in Deutschland, England und bis nach Frankreich hinein von der frohen Bevölkerung gefeiert werden, der Schimmelreiter eine grosse Rolle. Ihm zur Seite steht aber die ebenso wichtige Persönlichkeit der Maikönigin oder des Maikönigs in England, des Maigrafen in Niederdeutschland, des Pfingstbutz in Schwaben, des Wasservogels in Bayern, welche alle mit Grün und Blumen geschmückt den Einzug der warmen Jahreszeit veranschaulichen sollen.

Wie das sanfte Wehen des Windes die Luft reinigt und Krankheitsstoffe verscheucht, so tritt auch Wodan als Heilgott auf, der, wie der zweite Merseburger Zauberspruch zeigt, z.B. die Fussverrenkung von Balders Fohlen heilt, nachdem vergebens die heilkundigen Weiber Sinthgunt und Sunna, Fria und Volla das Tier besprochen.[1092]

Dem doppelten Charakter des Gottes gemäss, empfing Wodan auch zweierlei Opfer. Als segenspendendem Erntegott wurden ihm Feldfrüchte dargebracht. Der wilde Herr des Sturmes und der Schlachten aber lechzte nach Blut und so fielen Pferde und selbst Menschen unter dem Messer oder durch den Strick des opfernden Priesters; denn namentlich die Seelen der Gehängten sind dem Gotte lieb.

Wenn er nicht im wilden Sturmwind einherfährt, so weilt Wodan mit seinem Gefolge in seinem Palaste hinter den Wolken. Zu diesem goldleuchtenden Hause führt ein Weg, der mit edlen Steinen gepflastert ist. Auch für Liebe ist das Herz des Himmelsgottes nicht unempfänglich, die Sage weiss von einer Verlobung Wodans mit der reizenden Köhlerstochter Lili. Ebenso weiss der gewaltige Gott die selbstvertrauende Macht und Klugheit der Menschen zu achten und zu würdigen.

Der Gott, welcher den Menschen den Sieg verlieh, wurde bald auch der Geber alles Glückes und aller höheren Güter, er wurde Geber des Wunsches und gar der Wunsch selber; denn mit diesem Worte bezeichneten noch die Dichter des Mittelalters ein gewaltiges, schöpferisches Wesen.

Wie bei den Griechen und Römern waren auch bei den Germanen die Herrscher darauf versessen, von Göttern abzustammen. Bei der englischen Königsfamilie reicht der Stammbaum bis auf Wodan hinauf und mit Hilfenahme weiblicher Zwischenglieder bis Königin Viktoria herab.

Bei den Nordgermanen finden wir den Namen Wodan in Odhinn (oft mit verdeutschter Schreibung Odin geschrieben) verwandelt. Seine Bedeutung ist dieselbe geblieben. Auch Odhinn ist Sturmgott, als solcher sogar früher als Adler abgebildet, daher der Name Arnhöfdhi (adlerhäuptig)), welcher an der Spitze der wilden Jagd in Dänemark oder des wütenden Heeres in Schweden und Norwegen sein Wesen treibt. Asgardhreidh, d.h. Fahrt nach Asgardh, mit welchem Namen Odhinns Wohnsitz bezeichnet wird, nennt man die Erscheinung. Geister von Trunkenbolden, Schlägern, Neidern und Betrügern, die für den Himmel nicht reif, für die Hölle zu gut sind, bilden das Gefolge des Gottes und treiben es ganz gleich wie ihre Brüder in Deutschland. Auch Odhinn wohnt im Wolkenberg, ist einäugig, weil die Sonne sein Auge bildet, stellt durch seinen weiten Mantel das Himmelszelt, durch seinen breitrandigen Hut die Wolken dar und reitet auf weissem Ross, das Sleipnir heisst und acht Füsse besitzt. Ähnliche Gebräuche wie in Deutschland herrschen auch in Skandinavien an der Wintersonnenwende und im Frühlingsanfang.

Ganz anders allerdings gestaltet sich das Bild Odhinns, wenn wir die Edda zu Rate ziehen, welche sich einen Götterhimmel geschaffen, wie die Griechen ihn besassen. Da ist Odhinn der König und väterliche Regierer der Welt und des Götterstaates. Er wird daher Allvater genannt. Als solcher thront er in der Götterburg Asgardhr, welche in ihrem Mauerring viele herrliche Paläste umschliesst. Der prächtigste von diesen ist Gladsheim (Welt der Freude), wo geräumig die goldschimmernde Vallhöll (Walhalla, d.b. die vorzügliche Halle) sich erhebt. In dieser Halle freuen sich die Einherier, die im Kampfe gefallenen Helden, ihres Lebens, essen das Fleisch des Ebers Sährimnir, das ihnen der Koch Andhrimnir in dem Kessel Eldhrimnir zubereitet, laben sich an der nie versiegenden Milch der Ziege Heidrhun, während die holden Valkyrien ihnen aus goldenen Hörnern köstlichen Met kredenzen. Odhinn[1093] selbst sitzt auf goldenem Throne, umgeben von den beiden Wölfen Geri (der Heisshungrige) und Freki (der Gefrässige), umflogen von den Raben Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung). Zu den Einheriern gehören bloss die im Kampfe gefallenen Könige, Herzoge, Adelige und reichen Herren. Sie werden ausgewählt auf blutiger Wahlstatt von den Valkyrien und ein festlicher Empfamg wird ihnen bereitet in Walhalla. Einst wird Odhinn die Einherier gebrauchen: in der Götterdämmerung, wenn es gilt gegen die dämonischen Mächte, welche den Untergang der Welt herbeiführen, den Entscheidungskampf zu schlagen. Odhinn ist Kriegsgott. Ja er säet sogar Zwietracht, wenn Frieden im Lande ist. Entbrennt die Schlacht, so kämpft er selbst unsichtbar mit. Von ihm allein hängt der Sieg ab. Im Vertrauen auf die Hilfe Allvaters verrichteten die Nordmänner Wunder der Tapferkeit und sahen lachenden Mundes dem Tod ins Angesicht. Bis zum Fanatismus begeistert stürzten sie sich wohl panzerlos, als Berserkir, in die Scharen der Feinde und bissen um sich wie Wölfe.

Odhinns Dienst war blutig, Menschenopfer fielen an seinen Altären. Wie in Deutschland wurden auch in Skandinavien die zum Opfertode bestimmten vorzugsweise gehängt.

Doch nicht nur auf dem Festlande ist Odhinn Herr. Auch die Seefahrer flehen ihn um günstigen Fahrwind an und vertrauen auf seine Hilfe in des Sturmes Nöten. Recht bezeichnend ist es für die Germanen, denen ja schon Tacitus Liebe zum Trunke vorwirft, dass sie ihren obersten Gott gleichsam auch als obersten Bierbrauer ansahen. Im engsten Zusammenhang damit steht aber auch, dass Odhinn Dichtergott ist, welcher den Sängern den Trank der Begeisterung einflösst. Er selbst ist der beste der Dichter, und ihm werden sogar eine Reihe von Sinnsprüchen in den Mund gelegt, die unter dem Namen Havamal, d.h. Sprüche des Hohen, gesammelt sind. Ebenso gross wie sein dichterisches Talent ist sein Geschick Rätsel aufzulösen, selbst den Riesen Vafthrudnir besiegt seine Weisheit im Rätselkampfe. Odhinn ist allwissend, denn er hat aus dem Weisheit spendenden Brunnen des Riesen Mimir getrunken, wofür er aber dem Riesen zur Belohnung das eine Auge lassen musste. Mit des Gottes Allwissenheit hängt auch seine Allmacht zusammen. Er ist Erfinder der Runen, der Schöpfer und Ordner im Reiche der Natur und alles höheren Lebens. Mit seinen Brüdern Vili (der Wollende) und Ve (der Heilige) hat er aus dem Chaos Himmel und Erde erhoben und die organische und sittliche Weltordnung geschaffen. Aus Bäumen hat er die Menschen gebildet und ihnen die Seele eingehaucht. Fort und fort erhält er, als König dem Götterstaate vorstehend, seine Weltordnung aufrecht. Er ist Vorbild der Gesetzgeber und wacht über die Heilighaltung des Eides. Auch Kinder werden Odhinn zugeschrieben. Mit Frigg hat er den lichten Balder erzeugt, mit der Erdgöttin Jördh den starken Donnergott Thorr, mit Rindr den Vali, mit der Riesin Gridhr den schweigenden Vidharr; auch die Kampfgötter Tyr und Hödhr, der Dichtergott Bragi, der Götterwächter Heimdallr und Hermodhr, der Götterbote, nannten den Allvater Odhinn ihren Erzeuger. Als die Heiligen der christlichen Kirche den heidnischen Göttern den Krieg erklärten und sie allmählich aus dem Felde schlugen, da nahmen doch einige der Sieger Züge von den Unterdrückten an. Der Erzengel Michael, dieser »Fahnenträger der himmlischen Heerscharen«, trat an Wodans Stelle. Auf denselben Plätzen, wo Wodans Tempel gestanden, erhoben sich Kapellen des[1094] Erzengels Michael; in Schweden lodern Michaelsfeuer zu derselben Zeit, in der sonst dem Odhinn auf diese Weise das Volk seine Verehrung bezeugte. Wodan als Hackelbärend ging auf in dem Heiligen Martin, der bekanntlich als Ritter dem in Gestalt eines Bettlers ihn anflehenden Heiland ein Stück seines Mantels gegeben, Was früher dem Wodan gegolten. geschieht jetzt dem heil. Martin zu Ehren. Er wird als Schimmelreiter dargestellt; ihn günstig zu stimmen feiert man an Martini in der Mark Erntefeste und zündet Freudenfeuer an. In Süddeutschland zeigt sich St. Martin zur Weihnachtszeit in der Rolle des Knecht Ruprecht als Pelzmärtel. Endlich hat auch St. Nikolaus, der kinderfreundliche Bischof von Mira, dessen Festtag (6. Dezember) in die Zeit der Wintersonnenwende fiel, seinen Namen dem Wodan borgen müssen. Auf einem Schimmel, oder als Knecht vermummt zieht er in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember in den Dörfern herum und legt den Kindern Äpfel, Birnen und Nüsse in die Schuhe, in welch' letztere von den Kleinen Heu gestopft wird am Vorabend, damit der Schimmel des freundlichen Gebers auch etwas zu fressen habe. So lebt auch heute noch mehr oder weniger deutlich das Andenken an Wodan im deutschen Volke fort.

Nach Mannhardt, Die Götter der deutschen und nordischen Völker.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1088-1095.
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