Daudet

[541] Daudet (spr. dodä), 1) Ernest, franz. Schriftsteller, geb. 31. Mai 1837 in Nimes, kam 1857 mit seinem jüngern Bruder, Alphonse, nach Paris, wurde Sekretär des Kammerpräsidenten Herzog von Morny und schrieb für zahlreiche Blätter und Zeitschriften mit royalistischer Tendenz. Die siegreiche Reaktion übertrug ihm 1873 die Leitung des »Journal officiel«, die er nach drei Jahren gegen die des »Petit Moniteur« vertauschen mußte. Neben seinem Bruder steht[541] der Verfasser der »Vénus de Gordes« (1866) und zahlreicher andrer Romane unbedeutend da; dagegen verdienen seine fleißigen geschichtlichen Sammelwerke Erwähnung. »Le cardinal Consalvi 1800–1824« (1866); »La Terreur blanche« (1878); »Le procès des ministres« (1877); »Histoire de l'Emigration« (1886–89, 3 Bde.); »Les coulisses de la société parisienne« (1893); »Le Duc d'Aumale« (1897) u. a. Ferner schilderte er sein und seines Bruders Jugendleben u. d. T.: »Mon frère et moi« (1882).

2) Alphonse, franz. Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 13. Mai 1840 in Nimes, gest. 16. Dez. 1897 in Paris, machte während der ersten Jahre seines Pariser Aufenthalts eine herbe Lehrzeit durch, bis der Herzog von Morny ihm als Privatsekretär ein sicheres Brot und die Mittel zu Studienreisen gab. Nach poetischen und dramatischen Versuchen erzielte der junge Schriftsteller seinen ersten durchschlagenden Erfolg mit dem selbstbiographischen Roman »Le petit Chose, histoire d'un enfant« (1868; deutsch u. d. T.: »Der kleine Dingsda«, Berl. 1877). Dann machten die »Lettres de mon moulin« (1869) und namentlich der meisterhafte komisch-satirische Roman »Les aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon« (1872) den Namen A. Daudets immer bekannter, bis er mit dem Roman »Fromont jeune et Risler aîné« (1874; deutsch, Berl. 1876), der über 60 Auflagen erlebte, in die Reihe der gelesensten Schriftsteller Europas vorrückte. Bald lösten nun die Erfolge einander ab mit ».Jack« (1876), »Le Nabab« (1877), »Les rois en exil« (1879), »Numa Roumestan« (1882), »L'Évangéliste« (1883), »Sapho« (1884), »Tartarin sur les Alpes« (1886), »L'Immortel«, eine Satire auf die französische Akademie (1888), »Port Tarascon, dernières aventures de l'illustre Tartarin« (1890), »Rose et Ninette« (1892), »La petite paroisse« (1895) und »Soutien de famille« (1898). Die meisten dieser Werke sind fast gleichzeitig mit dem Original in deutschen Übersetzungen erschienen. D. huldigt der realistischen Richtung, weiß aber dabei seinem Gegenstand immer eine intime, gemütvolle Seite abzugewinnen. Er wird daher oft der Nachahmung Dickens' geziehen; allein er hat vor diesem die künstlerische Gestaltung wie eine bestrickende Virtuosität der Sprache voraus. Seine Erinnerungen hat er niedergelegt in »Trente aus de Paris (A travers ma vie et mes livres)«, »Souvenirs d'un hommes de lettres« (1888) und »Notes sur la vie« (1899). Von den Theaterstücken Daudets sind zu nennen: »L'Arlésienne« (1872, mit musikalischen Einlagen von Bizet), dann die Bearbeitungen seiner Romane: »Fromont«, »Jack«, »Les rois en exil«, »Sapho«, »Numa Roumestan«, sowie die selbständigen Arbeiten: »La lutte pour la vie« (1889), »L'Obstacle« (1890), »La Menteuse« (1892, nach einer Erzählung der »Femmes d'artistes«). Eine auf 18 Bände berechnete illustrierte Ausgabe seiner »Œuvres complètes« begann 1899 in Paris zu erscheinen. Vgl. Gerstmann, A. D., sein Leben und seine Werke (Berl. 1883, 2 Bde.); Léon A. Daudet, Alphonse D. (Par. 1898); B. Diederich, Alphonse D., sein Leben und seine Werke (Berl. 1900). – Seine Gattin Julia, geborne Allard, geb. 1847 in Paris, früher Mitarbeiterin verschiedener Zeitschriften, veröffentlichte »Impressions de nature et d'art« (gesammelte Aufsätze, 1879), »L'enfance d'une Parisienne« (1883), »Fragments d'un livre inédit« (1885), »Enfants et mères« (1889) und »Journées de Femme« (1898), von seiner Beobachtung zeugende Skizzen, deren Stil etwas geziert ist.

3) Léon, Sohn des vorigen, franz. Romandichter, geb. 1868 in Paris, machte zuerst medizinische Studien, die er bald mit der Literatur vertauschte, entwickelte in seinem ersten Werk »Germe et poussière« (1891) eine etwas unklare Philosophie und erregte in literarischen Kreisen mit »L'Astre Noir« (1893), einer Satire gegen V. Hugos Egoismus, besonders auch deshalb Aufsehen, weil D. 1891 dessen Enkelin geheiratet hatte. Die Ehe wurde 1895 geschieden. Allgemein bekannt wurde er durch die heftige Satire gegen die Ärzte : »Les Morticoles« (1894), den sein psychologischen Roman »Les deux étreintes« (1900) und die scharfe republikfeindliche Satire »Les Parlementeurs« (1901). D. ist politischer Mitarbeiter der antisemitischen »Libre Parole« und Theaterkritiker des royalistischen »Soleil«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 541-542.
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