Handwerkervereine

[766] Handwerkervereine, Vereinigungen von Handwerksgenossen, die sowohl die geistige und sittliche Hebung, die allgemeine und die Berufsbildung der Handwerker als auch die Förderung der technischen, wirtschaftlichen und geschäftlichen Verhältnisse des Handwerks selbst im ganzen oder in einzelnen Zweigen anstreben. H. gab es schon im griechischen und römischen Altertum; systematisch ausgebildet, bestanden sie im Mittelalter als Zünfte, Innungen etc. Zu den Handwerkervereinen der neuern Zeit sind die auf Grund der Gewerbeordnung ins Leben gerufenen Innungen (s. d.), viele Genossenschaften (s. d.) und die meisten Gewerbevereine (s. d.) zu rechnen, welch letztere sich in erster Linie der Verbreitung nützlicher Kenntnisse und Erfahrungen unter den Gewerbtreibenden widmen, ebenso die katholischen Vereine, die Angehörige des Handwerks umfassen (Meistervereine, Gesellenvereine). Von hervorragender Bedeutung ist der Große Berliner Handwerkerverein, der 1844 ge gründet, 1850 geschlossen, 1859 wieder ins Leben gerufen wurde und 1880 die Rechte einer juristischen Person erhielt. Durch öffentliche Vorträge, Bibliothek und Lesezimmer sowie seine Fortbildungsschule entwickelt derselbe eine ausgebreitete Wirksamkeit. – Die liberale Richtung der deutschen Gewerbeordnung führte 1873 zur Gründung eines über ganz Deutschland sich erstreckenden Vereins selbständiger Handwerker und Gewerbtreibenden (seit 1879 Deutsche Handwerker- und Gewerbepartei), die es sich zur Aufgabe setzte, die Mängel der Gewerbegesetzgebung, insbes. auf dem Gebiete des Lehrlings- und Gesellenwesens, zu beseitigen. Derselbe gliederte sich in Ortsvereine, die wieder je zu einem Kreis- und Provinzialverband gehörten. 1882 berief dieser Verein einen allgemeinen deutschen Handwerkertag nach Magdeburg, auf dem der Grundstein zu dem 1883 in Hannover ins Leben gerufenen Allgemeinen deutschen Handwerkerbund gelegt wurde. Der bisherige Berliner Zentralvorstand trat die Leitung des neuen Bundes an Köln ab; 1885 wurde der Sitz desselben nach München verlegt. Der Handwerkerbund will alle deutschen Handwerker zur gesetzlichen Wahrnehmung ihrer Standesinteressen organisieren, um so die Grundlage zur Einführung der obligatorischen Innung zu legen. Insbesondere erstrebt er die Einführung von Arbeitsbüchern für jeden Gesellen, ausreichende Beschränkung des Hausierhandels, Beseitigung der Wanderlager, Wanderauktionen mit Handwerkserzeugnissen, der Konsumvereine, soweit diese mit Handwerkserzeugnissen Handel treiben oder sich der Herstellung von solchen widmen, etc. Von den Innungsverbänden unterscheidet sich der Allgemeine deutsche Handwerkerbund dadurch, daß dse Tätigkeit jener durch Gesetz genau bestimmt ist und hauptsächlich in der Regelung und Vertretung der Fachinteressen gipfelt, und daß für jene Verbände jede agitatorische Tätigkeit ausgeschlossen ist, während das Programm des Allgemeinen deutschen Handwerkerbundes einen mehr agitatorischen Charakter an sich trägt. Organ des Handwerkerbundes ist die »Allgemeine Handwerkerzeitung« (München). Neben diesem großen Verband gibt es noch mehrere örtlich beschränkte, wie den Bayrischen Handwerkerbund (seit 1883), den Westdeutschen Bund selbständiger Handwerker (seit 1882), einen Westfälischen, einen Ostdeutschen Bund etc. S. Handwerkertage.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 766.
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