Kamerālwissenschaft

[509] Kamerālwissenschaft (Cameralia), ursprünglich der Inbegriff der einem Kammerbeamten notwendigen Wissenschaften, die sich hauptsächlich auf die zweckmäßigste Verwaltung der Einkünfte der fürstlichen Kammer (s. d.) bezogen. In Deutschland ward, sobald sich festere staatliche Zustände bildeten, die Verwaltung der Domänen oder Kammergüter, welche die Hauptquelle des fürstlichen Einkommens bildeten, den Kammern überwiesen, die daneben, besonders in Preußen, als Kriegs- und Domänenkammern auch Zweigen der Volkswirtschaftspflege und der Polizei vorstanden. So bildete sich die Lehre von den Kammersachen als Zusammenstellung der Grundsätze über die Tätigkeit dieser Behörden. Diese wurde auf besonders errichteten kameralistischen Lehrstühlen an den Universitäten, zuerst in Preußen und zwar in Halle und Frankfurt a. O. seit 1727, gelehrt und von Seckendorf, Schröder, Horneck, Justi, Sonnenfels u. a. wissenschaftlich dargestellt. Sie zerfiel in zwei Teile: 1) die Ökonomie, die nicht nur die allgemeine Haushaltungsregeln, sondern auch die Lehre von der Stadtwirtschaft (Handel, Gewerbe) und der Landwirtschaft umfaßte; 2) die Lehre von der Verwaltung des Staates, deren einer Teil, die Polizei, von den Maßregeln zur Pflege und Mehrung des allgemeinen Volkswohlstandes handelt, während das Gebiet der andern, der eigentlichen K., mit dem unsrer heutigen Finanzwissenschaft identisch ist. Nachdem aber der allgemeine Teil der Kameralien in die Volkswirtschaftslehre u. Staatswissenschaften (s. d.), besonders auch die Finanzwissenschaft übergegangen, ist der Ausdruck K. heute mehr in den Hintergrund getreten. Gebräuchlich ist noch vielfach die Zusammensetzung »Staats- und Kameralwissenschaften«. »Stud. jur. et cam.« nennt sich derjenige Studierende, der sich nicht allein auf den Justiz-, sondern auch auf den Verwaltungsdienst vorbereitet. In Württemberg gibt es noch ein eignes kameralistisches Studium mit besonderer Prüfungsordnung für solche, die in die Finanzverwaltung eintreten wollen. Vgl. Rau, Über die K. (Heidelb. 1825); Baumstark, Kameralistische Enzyklopädie (das. 1835); R. v. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissenschaften (2. Aufl., Tübing. 1872); Glaser, Enzyklopädie der Gesellschafts- und Staatswissenschaften (Berl. 1864); Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland (Münch. 1874).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 509.
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