Mohl

[21] Mohl, 1) Robert von, Staatsrechtslehrer und Staatsmann, geb. 17. Aug. 1799 in Stuttgart, gest. in der Nacht vom 4. zum 5. Nov. 1875 in Berlin, Sohn des Oberkonsistorialpräsidenten und Staatsrats Ferdinand Benjamin v. M. (geb. 4. Jan. 1766, gest. 5. Aug. 1845), ward 1824 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, 1836 zugleich Oberbibliothekar. 1845 ward er wegen einer schonungslosen Kritik damaliger Regierungsmaßregeln von seinem Lehrstuhl entfernt und als Regierungsrat nach Ulm versetzt. Er zog es vor, aus dem Staatsdienst auszuscheiden, und wurde bald nachher in die württembergische Zweite Kammer gewählt. 1847 folgte er einem Ruf als Professor der Rechte nach Heidelberg. Nachdem er 1848 dem Vorparlament beigewohnt, ward er von den Oberämtern Mergentheim und Gerabronn in die Nationalversammlung gewählt, wo er seinen Sitz im linken Zentrum nahm. Am 25. Sept. 1848 übernahm er im Reichsministerium das Portefeuille der Justiz, trat aber 17. Mai 1849 zurück und widmete sich wieder seinem Lehramt in Heidelberg. Seit 1857 Vertreter der Universität in der badischen Ersten Kammer, seit 1863 deren Mitglied durch allerhöchstes Vertrauen, 1861–66Bundestagsgesandter in Frankfurt, 1867–71 Gesandter in München, war er der berufenste Vertreter der nationalen Reformpolitik der großherzoglichen Regierung. 1871 erhielt er den Posten eines Präsidenten der Oberrechnungskammer in Karlsruhe. 1874 wurde er vom zweiten badischen Wahlkreis (Villingen-Donaueschingen) in den Reichstag gewählt, wo er sich der liberalen Reichspartei anschloß. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Staatsrecht des Königreichs Württemberg« (Tübing. 1829–31, 2 Tle.; 2. Aufl. 1840); »Die deutsche Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats« (das. 1832–34, 3 Bde.; 3. Aufl. 1866); »Die Verantwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung« (das. 1837); »Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften« (Erlang. 1855 bis 1858, 3 Bde.); »Enzyklopädie der Staatswissenschaften« (Tübing. 1859, 2. Aufl. 1872; neue Ausg., Freib. i. Br. 1881); »Staatsrecht, Völkerrecht und Politik« (Tübing. 1860–69, 3 Bde.); »Das deutsche Reichsstaatsrecht« (das. 1873). Auch gab er mit andern seit 1844 die »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« heraus. Aus Mohls Nachlaß erschienen seine »Lebenserinnerungen« (Leipz. 1901, 2 Bde.). Vgl. Ernst Meier, R. v. M. (in der »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft«, Tübing. 1878), und H. Schulze, Robert v. M. Ein Erinnerungsblatt (Heidelb. 1886).

2) Julius von, Orientalist, Bruder des vorigen, geb. 25. Okt. 1800 in Stuttgart, gest. 3. Jan. 1876 in Paris, studierte in Tübingen zuerst Theologie, sodann in England und in Paris orientalische Sprachen und erhielt 1826 eine außerordentliche Professur der orientalischen Literatur in Tübingen, verbrachte aber die nächsten Jahre meist in Paris, London und Oxford mit gelehrten Forschungen, als deren Früchte die mit Olshausen bearbeiteten »Fragments relatifs à la religion de Zoroastre« (Par. 1829) erschienen. Später wendete er sich ausschließlich dem Studium des Persischen zu. Von der französischen Regierung mit der Herausgabe und Übersetzung des »Shâhnâme« von Firdosi beauftragt, nahm er 1834 in Tübingen seine Entlassung und siedelte nach Paris über, wo er sich naturalisieren ließ. Jenes Prachtwerk erschien[21] in sechs Foliobänden (Par. 1838–66), wozu nach Mohls Tod noch ein siebenter (von Meynard vollendet, das. 1878) kam. 1844 wurde er an Burnoufs Stelle zum Mitglied der Akademie der Inschriften, 1847 zum Professor des Persischen am Collège de France und 1852 zum Inspektor des orientalischen Druckes in der kaiserlichen Druckerei ernannt, auch war er Sekretär, später Präsident der Asiatischen Gesellschaft in Paris. In bezug auf die Ausgrabungen Bottas in Ninive veröffentlichte er: »Lettres de Mr. Botta sur les découvertes à Khorsabad« (1845). Überhaupt war M. unermüdlich in der Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen, und sein Salon bildete während des zweiten Kaiserreichs einen Sammelpunkt der literarischen Berühmtheiten. Seine Berichte an die Asiatische Gesellschaft erschienen nach seinem Tode gesammelt u.d. T.: »Vingt-sept ans d'histoire des études orientales« (hrsg. von seiner Witwe, 1879–80, 2 Bde.). Vgl. Simpson, Julius and Mary M., letters and recollections (Lond. 1887).

3) Moritz, Nationalökonom, Bruder der vorigen, geb. 1802 in Stuttgart, gest. daselbst 18. Febr. 1888, studierte Staatswirtschaft in Tübingen, besuchte darauf die landwirtschaftliche Anstalt in Hohenheim, ward 1826 Referendar im Finanzministerium, dann Assessor bei der Oberzollverwaltung in Stuttgart und 1831 Assessor bei der Finanzkammer in Reutlingen. Nachdem er sich darauf fünf Jahre lang in Frankreich der Erforschung der staatswirtschaftlichen Zustände und des Schulwesens dieses Landes gewidmet, ward er 1841 zum Obersteuerrat in Stuttgart ernannt. Er wohnte 1848 dem Vorparlament bei, wurde von dem Wahlbezirk Heidenheim-Aalen in die Nationalversammlung gewählt, wo er zu der gemäßigten Linken gehörte, und gab seine Anstellung sowie seinen Geburtsadel auf. Auch am Rumpfparlament nahm er teil. In allen nachherigen württembergischen Ständeversammlungen gehörte M. der äußersten Linken an. Er war Mitglied des Zollparlaments und bis 1874 des Reichstags. Er gehörte zu den eifrigsten Anhängern der großdeutschen Partei. Sein »Mahnruf zur Bewahrung Süddeutschlands vor den äußersten Gefahren« (Stuttg. 1867) bekämpfte den Anschluß der süddeutschen Staaten an den Norddeutschen Bund; nach 1870 bekämpfte er, auch in seiner Eigenschaft als Mitglied des Reichstags (1871–73), jede Kompetenzerweiterung des Reiches. In Wort und Schrift war er der tätigste Verfechter der Schutzzollpartei, besonders durch seine »Ständischen Berichte über den preußisch-französischen Handelsvertrag« (Stuttg. 1863). Er forderte das Frankensystem als Grundlage des deutschen Münzwesens (»Zur Münzreform«, Stuttg. 1867), Einschränkung der papiernen Umlaufsmittel (»Über Bankmanöver etc.«, das. 1858), agitierte für ein in den Händen der Einzelstaaten zentralisiertes Eisenbahnsystem (»Über den Entwurf eines Reichseisenbahngesetzes«, das. 1874), gegen Leihhäuser (»Die Pest der öffentlichen Leihhäuser«, das. 1866), für das Tabakmonopol etc.

4) Hugo von, Botaniker, Bruder der vorigen, geb. 8. April 1805 in Stuttgart, gest. 1. April 1872 in Tübingen, studierte seit 1823 in Tübingen Medizin, seit 1828 in München Botanik, wurde nach epochemachenden Arbeiten über die Anatomie des Farnen-, Cykadeen- und Palmenstammes 1832 Professor der Physiologie in Bern, 1835 Professor der Botanik in Tübingen. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen sind beinahe allen Gebieten der Botanik förderlich gewesen, namentlich aber förderte er die Phytotomie und machte speziell das feste Zellstoffgerüst der Pflanzen zum Gegenstande der eingehendsten und erfolgreichsten Untersuchungen. Auch Physiologie und Entwickelungsgeschichte wurden von ihm erheblich gefördert. M. unterschied 1844 den Primordialschlauch und erkannte 1846 das Protoplasma, das er mit diesem noch jetzt üblichen Namen belegte. Er schrieb: »Über den Bau und das Winden der Ranken und Schlingpflanzen« (Tübing. 1827); »Über die Poren der Pflanzenzellgewebe« (das. 1828); »Über den Bau und die Formen der Pollenkörner« (Bern 1834); »Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Gewächse« (das. 1834); »Mikrographie oder Anleitung zur Kenntnis und zum Gebrauch des Mikroskops« (Tübing. 1846); »Grundzüge der Anatomie und Physiologie der vegetabilischen Zelle« (Braunschw. 1851). Eine Anzahl der wichtigsten Abhandlungen ist in seinen »Vermischten Schriften botanischen Inhalts« (Tübingen 1845) gesammelt. Seit 1843 gab er mit Schlechtendal die »Botanische Zeitung« heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 21-22.
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