Katharsis

[748] Katharsis (griech.), soviel wie Reinigung, insbes. diejenige, die Aristoteles im 6. Kapitel seiner »Poetik« als die schließliche Wirkung der Tragödie bezeichnet. Die Tragödie bewirkt nach Aristoteles durch Mitleid und Furcht eine Reinigung dieser Affekte (oder: von diesen Affekten). Lessing bezog die Reinigung von Mitleid, Furcht »und dergleichen Affekten« auf den Zuschauer und deutete sie, zweifellos irrig, als Verwandlung dieser Affekte »in tugendhafte Fertigkeiten«. Goethe erblickte die K. in den dargestellten Vorgängen selbst und meinte, daß die Handlung der Tragödie »nach einem Verlauf von Mitleid und Furcht mit Ausgleichung solcher Leidenschaften ihr Geschäft abschließe.« J. Bernays, der andre Stellen aus Aristoteles' Schriften erläuternd verwertete, erklärte unter Zustimmung zahlreicher Gelehrten die K. als erleichternde und befreiende Entladung des Zuschauers von diesen Affekten des Mitleids und der Furcht. Endlich sah Laehr, teilweise auf Lessing zurückgehend und beeinflußt von Kant, die K. darin, daß die Tragödie durch Mitleid und Furcht das Affektleben des Menschen überhaupt reinige und zum Schönen läutere. Viele Neuere sind zu der Überzeugung gelangt, daß die Wirkung der Tragödie durch den Hinweis auf die K. nur unzulänglich gedeutet wird. Vgl. Lessing in der »Hamburgischen Dramaturgie« (74.–78. Stück); Jak. Bernays, Zwei Abhandlungen über die Aristotelische Theorie des Dramas (Berl. 1880; die erftt davon zuerst Bresl. 1857); Döring, Kunstlehre des Aristoteles (Jena 1876), wo im Anhang II, S. 263 bis 306, eine Zusammenstellung aller Auslegungen der Aristotelischen K. geliefert ist; Manns, Die Lehre des Aristoteles von der tragischen K. (Karlsr. 1883); Laehr, Die Wirkung der Tragödie nach Aristoteles (Berl. 1896); Aristoteles'. Poetik', übersetzt und eingeleitet von Gomperz; mit einer Abhandlung: »Wahrheit und Irrtum der Katharsistheorie des Aristoteles«, von A. v. Berger (Leipz. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 748.
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