Puri Dschagannath

[461] Puri Dschagannath (Dschagarnat, nach engl. Schreibart Juggurnaut), Hauptort des gleichnamigen Distrikts (1901: 1,017,284 Einw., wovon 17,285 Mohammedaner) der Division Orissa der britisch-ind. Provinz Bengalen, unter 19°48' nördl. Br., an der Südspitze des Mahanadi-Deltas, durch niedrige Sanddünen vom Meer getrennt, mit (1901) 49,334 Einw. (fast ausschließlich Hindu), engen Straßen und kleinen Häusern in ungesunder Lage, lebt ganz von den jährlich zuziehenden Pilgern. Sein Heiligtum, eins der meistverehrten der Hindu, bildet ein von einer 6 m hohen Steinmauer eingefaßtes Viereck mit 198 und 19 im langen Seiten. die an 120 den verschiedensten Hindugottheiten geweihte Tempel einschließen. Der Haupttempel ist dem Gotte Dschagannath (»Weltherr«) geweiht, einer Form Vischnus als Krischna. Vor dem Haupteingang steht eine reichverzierte Basaltsäule mit der Figur des Affengottes Hanuman. Eine Treppe führt zu dem von einer zweiten Mauer umgebenen Tempel, vier quadratischen Hallen (für Gaben, für die Tänzerinnen, für den Empfang der Pilger und für das Heiligtum), von denen zwei ein spitz zulaufendes, eine andre, mit 16 Säulen, ein flaches, die Haupthalle dagegen ein 60 m hohes kuppelförmiges Dach hatten. Die letzte enthält das Gnadenbild Dschagannaths mit seinem Bruder Balarama (Siwa) und seiner Schwester Sabhadra: drei etwa 2 m hohe, roh aus Holz geschnitzte Götzenbilder mit fratzenhaften Gesichtern, in dunkelblauer, weißer und gelber Farbe. Neben den täglichen (unblutigen) Opfern werden 24 hohe Festtage gefeiert; der größte ist das sogen. Wagenfest im Juni oder Juli, wo das Bild des Gottes auf einem 14 m hohen Wagen mit 16 Rädern von 2 m Durchmesser im tiefen Sand von Tausenden von Menschen nach einem etwa 1 km entfernten Landhaus fortgezogen wird. was mehrere Tage erfordert. Zwei andre Wagen tragen die Bilder seiner Geschwister. Als Reinigungsmittel gegen die Sünden wird Reis beim Tempel gekocht und verteilt. Während sonst Speise durch die bloße Berührung eines Mannes von einer andern Kaste ungenießbar wird, kommt hier die Gleichheit des Menschen vor Gott zum Ausdruck, indem Dschagannath seinen Segen jedem gewährt. Die tägliche Zahl der Besucher beträgt durchschnittlich 50,000, an Hauptfesttagen 300,000. Jährlich sterben an Krankheiten, Hunger, Strapazen gegen 12,000 Pilger. Man veranschlagt die Jahreseinkünfte des Tempels auf 31,000 Pfd. Sterl. Rente aus den zum Tempel gehörenden Klöstern und Ländereien und 37,000 Pfd. Sterl. an jährlichen Geschenken der Pilger. Übrigens ist das Ziehen des Dschagannathwagens in Indien weitverbreitet, ebenso wie der Dschagannathkultus überhaupt. Früher pflegten einige Andächtige in der Ekstase absichtlich unter den Rädern den Tod zu suchen, doch sind solche Selbstmorde ganz abgekommen Auch zur Verhütung der durch das fürchterliche Gedränge beim Wagenziehen jährlich vorkommenden Unglücksfälle übt die englische Regierung jetzt eine strenge Aussicht aus. Vgl. Hunter, Orissa, Bd. 1 (Lond. 1872); E. Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (2. Aufl., Leipz. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 461.
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