Seespuk

[273] Seespuk, Aberglaubensformen der Seeleute, die auf einem starken Vertrauen auf Vorherbestimmung und Furcht vor gewissen Vorzeichen beruhen. In den Sturmvögeln, namentlich der Sturmschwalbe (Thalassidroma pelagica, Petersvogel, Petrel und Mutter Careys Hühnchen), vermutet man die Seelen verunglückter Seeleute. Die Griechen hegten umgekehrt ein oft getäuschtes Vertrauen auf die sogen. Halkyonischen Tage (s. Halkyone). Kein Anblick war im Altertum dem Seemann gefürchteter als die Erscheinung des Helenafeuers (s. Elmsfeuer) auf dem Schiffe während eines Gewitters oder Seesturms, wo gegen man die Erscheinung des Elmsfeuers, wenn es, wie bei der damals vorherrschenden Takelung mit doppelter Mast- und Segelspitze, als Dioskurenfeuer erschien, als Rettungszeichen begrüßte (vgl. Dioskuren). Im Mittelalter traten an die Stelle der Dioskuren mehrere Heilige, namentlich St. Hermann (italienisch Ermo, Elmo), nach dem das Elmsfeuer benannt ist, während in der Neuzeit das Elmsfeuer vom griechischen Schiffsvolk als bedrohlich erachtet wird, so daß man es durch die Geste der Feige oder durch Entblößung des Hintern zu verscheuchen sucht. In den griechischen Gewässern fürchtet man jetzt die schöne Frau (Kyra Kalo) oder schöne Gorgone, die Tochter Alexanders d. Gr. und der Meerkönigin Thalassa, die mit großer Vorsicht behandelt sein will. Ähnlich ist der Glaube an geheimnisvolle Stimmen, die auf der See (nach Plutarchs Erzählung) den Tod des großen Pan kündeten und allgemeines Wehklagen weckten, oder die Furcht vor dem Seegesicht und Gespensterschiff. Das schnell und lautlos vorüberfliegende Geisterschiff, das schon in der »Odyssee« vorkommt, ist zum Teil ein Nachbild an den Glauben vom Seelenschiff (Charons Nachen, Naglfari der nordischen Mythologie) und namentlich an den französischen Westküsten zu Hause. Über den Fliegenden Holländer und den Klabautermann s. d. Der Glaube an den Schiffshalter (Remora), dem man im Altertum das Festsitzen der Ruderschiffe zuschrieb, wenn sie sich am Schiffsboden ansaugten, ist ebenso wie derjenige an Meerbischöfe, Kraken u. Meerweiber (wozu die Seekühe Anlaß gegeben haben, die ihre Jungen an die Brüste drücken) und an Magnetberge, die alles Eisen aus dem Schiffe ziehen sollten, geschwunden. Dagegen spukt die Erscheinung der Seeschlange (s. d.) noch alljährlich. Viele dieser Spukformen, wie z. B. auch der Glaube an die zusammenklappenden Felsen (Symplejaden), an die mitten im Meere wachsende Meerpalme, für deren Früchte man früher die Maledivennuß ausgab, an gewaltige Meeresstrudel (Malstrom, Scylla und Charybdis), an die Insel der Seligen etc., von denen das meiste schon in der »Odyssee« vorkommt, sind weitverbreitet und vielfach aus kosmischen Anschauungen der Naturvölker entstanden. Vgl. Heims, Seespuk (Leipz. 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 273.
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