Stillen der Kinder

[36] Stillen der Kinder, die Ernährung der Kinder in den ersten Lebensmonaten durch Mutter- oder Ammenmilch. Für das neugeborne Kind, den Säugling, ist die Milch seiner Mutter die natürlichste und gesündeste Nahrung. Anderseits ist das Stillen ihrer Kinder für die Mutter eine natürliche Pflicht und für die Erhaltung ihrer eignen Gesundheit, zumal während des Wochenbettes, erforderlich, weil durch das Stillen die Rückbildung der Gebärmutter vollkommener wird. Tritt während der Stillungsperiode Schwangerschaft ein, so ist das Kind sofort abzusetzen. Bleibt die Mutter gesund, und wird die Milchabsonderung nicht gestört, so genügt die Mutterbrust dem Kinde bis zu der Zeit, wo mit dem Durchbruch der Zähne sich der Trieb nach fester Nahrung äußert. Mit dem ersten Anlegen des Kindes darf man nicht warten, bis die Brüste reichlichere und wirkliche Milch geben. Gerade durch das Saugen des Kindes wird die Milchabsonderung am besten befördert, auch begünstigt die zuerst gebildete, noch dünnere, fettarme Milch, das Kolostrum, beim Kinde den Abgang des Kindspeches aus dem Darm. Schon in den ersten 24 Stunden nach der Geburt, am besten, sobald das Kind ordentlich aufgewacht ist, legt man es an die Brust und wiederholt dies etwa alle 3 Stunden, häufiger, wenn das Kind schwächlich ist. Man läßt es dann weniger auf einmal trinken, sonst aber läßt man es saugen, bis es satt ist, d. h. bis es zu trinken aufhört, oder bis es einschläft. Nach einigen Monaten braucht dem Kinde die Brust seltener gereicht zu werden, da es dann mehr auf einmal trinkt. Beim Anlegen des Kindes achte man darauf, daß das Kind die Nase frei hat, weil es sonst nicht atmen und also auch nicht saugen kann. Die Mutter muß also eine zu stark strotzende Brust mit den Fingern zurückhalten. Wegen der nachteiligen Wirkung auf die Milchabsonderung müssen heftige Gemütsaffekte, Zorn oder Ärger, möglichst vermieden werden. Da alles, was die Mutter genießt, in die Milch geht, so darf eine stillende Mutter niemals stark wirkende Arzneien (Opium, Morphin etc.) erhalten. Mit der Entwickelung der Zähne, gewöhnlich nach 9 Monaten, soll das Kind von der Mutterbrust entwöhnt werden. Vgl. Kinderernährung. Häufig wird das S. durch Unfähigkeit der Frauen zum Stillen unmöglich gemacht. Ein beträchtlicher Teil der Frauen ist unfähig, ihre Kinder zu stillen, oder hat wenigstens nicht genügend Milch, um die Kinder ohne Zuspeise 3/4 Jahr zu ernähren. Ursachen hierfür[36] sind, abgesehen von Krankheiten, wie Krebs, Tuberkulose, Epilepsie, die zum Stillungsgeschäft untauglich machen, selbst wenn Milch in ausreichender Menge produziert wird, mangelhafte Entwickelung der Brustdrüse und Fehler der Warze. Man kann zwar bisweilen durch sorgsame Pflege der Brust in der Schwangerschaft und durch fleißiges Anlegen in der ersten Zeit des Wochenbettes die Fähigkeit zum Stillen bessern, aber es bleibt eine ganze Reihe von Fällen übrig, wo bei sonst völliger Gesundheit der Mutter das Säugungsgeschäft unmöglich ist. Die alte Behauptung, daß diese Unfähigkeit zum Stillen erblich sei, glaubt v. Bunge (Basel) durch seine Untersuchungen erwiesen zu haben. Als Ursache dieses Erbfehlers beschuldigt er namentlich Trunksucht der Eltern der zum Stillen unfähigen Frauen. Einen auffallenden günstigen Einfluß auf die Menge und Güte der Milchabsonderung kann man durch Darreichung eines aus Bauwwollsamen hergestellten Eiweißstoffes, Laktagol, erzielen. Literatur s. bei Artikel »Kinderernährung«, ferner v. Bunge, Die zunehmende Unfähigkeit der Frauen, ihre Kinder zu stillen (5. Aufl., Münch. 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 36-37.
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