Weltsprache

[526] Weltsprache, eine Sprache, mittels deren sich die Angehörigen verschiedener Völker untereinander verständigen können, ohne es, wie bisher, nötig zu haben, eine andre fremde als eben diese W. zu erlernen. Eine solche Sprache ist, wie schon aus dieser Begriffsbestimmung hervorgeht, derzeit noch ein Ideal, und es steht keineswegs außer Zweifel, ob sich dieses Ideal jemals wird verwirklichen lassen. Jedenfalls nicht in der Weise, wie man sich die Sache am Anfang der auf Einführung einer W. gerichteten Bestrebungen gedacht hat: daß die W. an die Stelle der Nationalsprachen treten und diese gänzlich aus dem Verkehr drängen solle. Bestrebungen dieser Art, die in der Regel auch Hand in Hand mit dem Versuch gingen, eine »Allgemeinschrift« (s. Pasigraphie) zu begründen, sind auch heutzutage kaum mehr zu verzeichnen. Vielmehr ist jetzt die Ansicht allgemein durchgedrungen, daß es sich höchstens darum handeln kann, eine W. im Sinne einer internationalen Hilfssprache zu gewinnen, d. h. einer Sprache, die überall dort helfend eingreift, wo sich aus der natürlichen Verschiedensprachigkeit der Völker Unzukömmlichkeiten ergeben, deren Überwindung durch Erlernen der fremden Nationalsprache einen zu großen Kraftaufwand erfordern würde. Daß das Eindringen in den fremden Volksgeist immer auch das Erlernen der fremden Nationalsprache erheischt, weiß man ja seit langem, und solche höhere Bedürfnisse wird darum eine W. in dem zuletzt skizzierten Sinne nun und nimmer befriedigen können. Etwas andres aber ist es schon um die internationalen Zwecke der Wissenschaft, des Handels, des rein praktischen, alltäglichen Verkehrs zwischen Leuten, die sich, der eine etwa Deutscher, der andre Franzose, heute zu solch bestimmtem Zwecke (auf Kongressen etc.) treffen und morgen wieder auseinandergehen, um dann vielleicht jahrelang wieder nur mit ihren Volksgenossen sprachlich zu verkehren. Für solche Zwecke wäre eine W. doch sehr erwünscht und wird auch neuerdings wiederum sehr lebhaft angestrebt. Von den drei Wegen, auf denen man anscheinend dieses Ziel erreichen kann, sind zwei praktisch (der erste gewiß, der zweite sehr wahrscheinlich) für alle Zukunft ausgeschlossen: Ein ideales, dann auch nur dem schriftlichen Verkehr dienstbar zu machendes, die Hilfe der historischen (lebenden oder toten) Nationalsprachen verschmähendes Zeichensystem, etwa eine Art Sprachmathematik mit Zahlen, Buchstaben etc. als Begriffszeichen, wie es z. B. Leibniz anstrebte, verbietet sich durch seine übergroße Schwierigkeit; und daß irgend eine tote (z. B. die lateinische) oder lebende (z. B. die englische, deutsche, französische) historische Nationalsprache allgemein als Hilfssprache angenommen werde, ist nahezu ausgeschlossen, weil jede davon ebenfalls zu schwierig ist und außerdem die toten Sprachen zu ungefüge und die lebenden zu eng mit dem eifersüchtigen Nationalbewußtsein verwachsen sind. Es bleibt also, wenn überhaupt einer, nur der dritte Weg übrig, der einer künstlichen Hilfssprache, für die aus verschiedenen historischen Nationalsprachen geeignete Elemente auszuwählen und in geeigneter Weise miteinander zu verbinden wären. Dieser Weg ist denn auch von den modernen Erfindern von »Weltsprachen« fast ohne Ausnahme immer wieder beschritten worden, vor allem von den bisher erfolgreichsten, dem Erfinder des Volapük (s. d.) und dem des Esperanto (s. d.). Und um diese Art Sprache handelt es sich nur, wenn heutzutage von W. die Rede ist, und demgemäß reduziert sich auch der Gedanke einer Universalschrift. wenn er auf praktische Anwendbarkeit Anspruch macht: es wird dann diese Art Schrift aus einer idealen Begriffsschrift zu einer Buchstabenschrift, die möglichst getreu und eindeutig die Laute der internationalen Hilfssprache für alle Völker verständlich wiedergibt, also zu einem Universalalphabet, ähnlich dem, wie es (vgl. Lautlehre) in der Sprachwissenschaft schon längst angestrebt worden ist. Die Wertschätzung der Bemühungen um eine W. schwankt derzeit zwischen Begeisterung für das insbes. durch das Esperanto bereits Erreichte und zwischen prinzipieller, neuerdings auch von einem Teil der Sprachforscher ausgehender Ablehnung aller und jeder W., auch der gemäßigten modernen Form der internationalen Hilfssprache. Auskunft über die Geschichte des Problems bietet L. Couturat und L. Leau, Histoire de la langue universelle (Par. 1903), die Stellung der zünftigen Sprachforschung dazu ersieht man aus Brugmann und Leskien, Zur Kritik der künstlichen Weltsprachen (Straßb. 1907) und Zur Frage der Einführung einer künstlichen internationalen Hilfssprache (das. 1908), sowie Baudouin de Courtenay, Zur Kritik der künstlichen Weltsprachen (Leipz. 1908, gegen die beiden vorgenannten Schriften). Die Internationale Assoziation der Akademien der Wissenschaften hat es 1907 abgelehnt, über den Wert des Esperanto und der andern etwa derzeit noch in Betracht kommenden Hilfssprachen zu urteilen, die »Délégation pour l'adoption d'une langue auxiliaire internationale« in Paris hat sich im Oktober 1907 für das Esperanto entschieden. Vgl. L. Couturat und L. Leau, Compte rendu des travaux du comité de la Délégation pour l'adoption d'une langue auxiliaire internationale (Coulommiers 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 526.
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