Xenĭen

[808] Xenĭen (griech. Xenia), eigentlich Geschenke für Gastfreunde bei den Alten, kommt schon bei Martial als Überschrift für das 13. Buch seiner Epigramme vor, weil es größtenteils von solchen Gegenständen handelt, die gewöhnlich als Gastgeschenke verteilt wurden. Den Titel X. erhielt auf Goethes Vorschlag auch eine Sammlung von Distichen, die er in Gemeinschaft mit Schiller zunächst zur Abwehr der Angriffe auf ihre Zeitschrift »Die Horen« verfaßte. Doch entwickelte sich die Sammlung bald über den nächsten Zweck hinaus zu einem großen Strafgericht über die selbstgefällige Mittelmäßigkeit, die sich in der Literatur breit machte. Vielschreiber, wie Kotzebue, seichte Aufklärer, wie Nicolai, unduldsame Frömmler, wie Stolberg, wurden in gleicher Weise getroffen. Die X., die 1796 im »Musenalmanach« auf 1797 erschienen, riefen eine Unzahl von Gegenschriften hervor. Vgl. Boas, Goethe und Schiller im Xenienkampf (Stuttg. 1851, 2 Bde.); »Anti-X.« (Fuldas »Trogalien zur Verdauung der X.«, hrsg. von Grimm, Berl. 1903). Welche X. von Goethe und welche von Schiller herrühren, ist nicht in allen Fällen zu entscheiden. Die beste Ausgabe der X. mit vorzüglichem Kommentar besorgten Erich Schmidt und B. Suphan: »Xenien 1796« (Weim. 1893; darin auch vieles, was in den »Musenalmanach« nicht aufgenommen wurde). Goethe gab später einer Sammlung von Reimsprüchen, die er 1820 in »Kunst und Altertum« erscheinen ließ, den Titel: »Zahme X.«

In der Botanik heißen X. alle Abweichungen von der normalen Gestalt oder Färbung, die an irgendwelchen Teilen einer Pflanze durch direkte Einwirkung fremden Blütenstaubes hervorgebracht werden. In neuerer Zeit ist die Xenienbildung an dem Endosperm von Maisrassen eingehender studiert worden. Da bei manchen Angiospermen der Pollenschlauch zwei Spermazellen enthält, von denen die eine die Befruchtung der Eizelle bewirkt, während die andre mit dem Zentralkern des Embryosackes verschmilzt, dem dann die Anlage des Endosperms zufällt, so nimmt man bei diesen X. an, daß bei hybrider Befruchtung neben der Bastarderzeugung des jungen Embryos auch eine solche des Endosperms stattgefunden hat. Um dieses Zusammenhanges willen beschränkt man in neuerer Zeit den Ausdruck X. auf Abweichungen des Endosperms und der Samenschale von der normalen Gestalt oder Färbung; für etwaige andre Abänderungen an der befruchteten Mutterpflanze (Hülsen der Erbsen etc.) wird die Bezeichnung Xenodochien verwendet. Bei ihnen würde es sich um eine Rückwirkung[808] der bastardierten Inhaltsteile des Embryosackes, also um einen indirekten Einfluß des fremden Pollens handeln.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 808-809.
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