Zurechnungsfähigkeit

[1021] Zurechnungsfähigkeit (Verantwortlichkeit, Imputabilitas), die Fähigkeit, für einen rechtswidrigen Erfolg verantwortlich gemacht zu werden. Z. besitzt jeder erwachsene normale Mensch. Nichtzurechnungsfähig (unzurechnungsfähig) ist mithin: 1) der noch nicht erwachsene Mensch; und zwar a) unbedingt das Kind (bis zum vollendeten 12. Lebensjahre); b) bedingt, d. h. bei Fehlen des Unterscheidungsvermögens (discernement), der Jugendliche (vom vollendeten 12.–18. Jahre). S. Jugendliche Verbrecher. 2) Der Geisteskranke; 3) der Bewußtlose; beide aber nach Reichsstrafgesetzbuch nur dann, wenn durch den Zustand die freie Willensbetätigung ausgeschlossen war. 4) Der Taubstumme (Reichsstrafgesetzbuch, § 58) bei Mangel der zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht. Verminderte, d. h. nicht voll entwickelte Z. hat der Gesetzgeber nur bei jugendlichen Verbrechern strafmildernd berücksichtigt. Mit Recht erstrebt man schon seit längerer Zeit, daß auch bei Erwachsenen die verminderte Z. der sogen. geistig Minderwertigen eine mildere Bestrafung und vor allem eine andre Behandlung während des Strafvollzugs zur Folge haben sollte. Im Zivilrecht schließt mangelnde Z. die Haftung des Täters für seine Handlung aus. Der Bewußtlose oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sowie das Kind unter 7 Jahren ist für seine Handlung nicht verantwortlich, von da ab bis zum 18. Lebensjahr tritt Verantwortlichkeit nur ein, wenn die erforderliche Einsicht vorhanden ist (Bürgerliches Gesetzbuch, § 827, 828). Trotz Mangels der Z. wird jedoch aus Billigkeitsrücksichten gehaftet, wenn dem Täter durch Leistung des Schadenersatzes nicht die Mittel zum standesgemäßen Unterhalt und zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten entzogen werden, wenn die Ersatzleistung nach den Umständen, insonderheit den Verhältnissen des Beteiligten, billig erscheint, und wenn der Ersatz nicht von einem aufsichtspflichtigen. Dritten erlangt werden kann (§ 829). Vgl. außer Hand- und Lehrbüchern des Strafrechts insbesondere: Gretener, Die Z. als Gesetzgebungsfrage (Berl. 1897); Zucker, Über Schuld und Strafe des jugendlichen Verbrechers (Stuttg. 1899); A. Forel, Über die Z. der normalen Menschen (6. Aufl., Münch. 1907); Günther, Die Zurechnung im Strafrecht und die gesetzliche Berücksichtigung der geistig Minderwertigen (2. Aufl., Berl. 1905); Kutella, Die Grenzen der Z. und die Kriminalanthropologie (Halle 1903); verschiedene Abhandlungen in den »Juristisch psychiatrischen Grenzfragen« (Halle); v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd. 2 (Berl. 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 1021.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika