Armencolonien

[725] Armencolonien, zur Begegnung der Armuth od. zur Abhülfe der Noth armer Leute im eigenen Lande gegründete Ansiedelungen, wo dem Colonisten ein Stück Land, die zum Anbau des Feldes u. zur Erbauung einer Wohnung nöthigen Mittel an Werkzeug, Vieh, Aussaat u. Lebensunterhalt bis zur Ernte gereicht, außerdem aber durch öffentliche Anstalten für Aufsicht u. Unterricht der Kinder der Colonisten gesorgt wird. Schon in den letzten 2 Jahrzehnten des 18. Jahrh. legte man dergleichen an mehreren Orten an, so im Donaumoos in Baiern, die A. Friedrichsrode bei Quedlinburg, die von Frankenrode im Gothaischen etc. Der Erfolg entsprach aber den Erwartungen fast allenthalben nicht. Später ward die Idee durch den Briten R. Owen wieder angeregt. Er organisirte in New-Lanark in Schottland ähnliche Colonien gleich zu mehreren Hundert Colonisten, ließ jedoch genaue Aufsicht über den Fleiß u. den Hausstand derselben führen. Ähnlich verfuhr die Stadt London, indem sie in Devonshire in einer öden Gegend, welche bisher nur zur Birkhühnerjagd benutzt wurde, eine Armen- u. Waisencolonie anlegte, ferner der Conferenzrath Lawätz in Holstein mit der A. Frederiksgabe, der Freiherr von Voght zu Flottbeck bei Hamburg, der Graf Larochefoucauld zu Liancourt im französischen Departement Orne, u. besonders der holländische General Joh. van den Bosch, der 1818 in Frederiksoord an der deutschen Grenze, u. später in anderen Gegenden Hollands ähnliche A. anlegte. Durch seinen Anfangs glücklichen Erfolg bestimmt, gründeten viele holländische Communen Capitale, ihre Armen zu colonisiren u. Arbeitsscheue zur Arbeit anzuhalten. Die holländischen A. zerfallen in Colonien zur Unterdrückung des Bettelwesens, in Colonien für dürftige Personen u. Veteranen, in freie Colonien, Waisencolonien etc. Das zur Colonie bestimmte Land wird in kleinen Pachtungen von 9 Acker getheilt u. dieselben Bedürftigen angewiesen. Kaufgeld dafür u. zur ersten Einrichtung in Summen von 1700 Gulden werden einer Familie angewiesen u. debitirt. Die Früchte der Pachtung fallen theils den Inhabern zu, theils werden sie in die Vorrathshäuser der Gesellschaft geliefert. Je 25 Pachtungen[725] stehen unter einem Aufseher. Die Waisen, die in den Colonien arbeiten, verlassen dieselben im 18. Jahre u. nehmen gewöhnlich Dienste zur See od. auf dem Lande. Auch in Belgien (zu Wortel, Mexplus, Rezkevoorsel), in Frankreich u. in Baiern (auf dem Moos bei München) wurden ähnliche Anlagen gemacht, haben aber hier den Erwartungen nicht entsprochen u. sind meist verlassen worden. Vgl. Huerne de Pommeuse, Des colonies agricoles, Par. 1832; Lüttwitz, Über A., Berl. 1834.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 725-726.
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