Haus

[524] Haus.

Ein Gebäude, welches zur Wohnung einer Privatfamilie bestimmt ist, und insgemein ein Wohnhaus genennt wird. Es ist von dem Pallast darin unterschieden, daß es kleiner, weniger prächtig ist, und keines besonderen Charakters bedärf.

Diejenigen, die über die Baukunst schreiben, versäumen insgemein am meisten, von dem Bau guter Wohnhäuser nöthigen Unterricht zu geben, indem sie hauptsächlich ihr Augenmerk auf Palläste und öffentliche Gebäude richten. Wir wollen einem angehenden Baumeister durch die hier zumachenden Anmerkungen Gelegenheit geben, seine Aufmerksamkeit zu vollkommener Einrichtung der Wohnhäuser zu schärfen.

Damit er die Bequämlichkeit, Annehmlichkeit und das gute Aussehen des Hauses zugleich erreiche, muß er allemal folgende Dinge in reife Ueberlegung nehmen. Zuerst den Stand und die Lebensart dessen, der bauen will; weil die Erfindung und Anordnung des Hauses lediglich davon abhängt. Bey dieser Ueberlegung setze er fest, wie viel Platz jede Classe der Bewohner des Hauses nöthig hat: der Herr des Hauses, seine Gemahlin, seine Kinder, die Bedienten des Hauses. Dieses bestimmt also die Menge und Größe der Zimmer. Ferner muß ihm die Erwägung oben gedachter Umstände die Richtschnur zur Anordnung oder Vertheilung der Zimmer an die Hand geben; denn aus dem Zustand der Familie muß er beurtheilen, wie fern die Absonderung oder nahere Verbindung der Zimmer nothwendig ist. Wo z. E. viel Bediente in einem Hause sind, die unter der Aufsicht eines Haushofmeisters stehen, da werden die Wohnungen derselben abgesondert, und nur für wenige Bediente, die der Herrschaft beständig zur Hand seyn müssen, werden einige kleine Zimmer, nahe an den Herrschaftlichen angelegt. Sind in dem Hause nur wenige einzele Bediente unter der unmittelbaren Aufsicht der Herrschaft, so erfodert dieses schon eine andre Einrichtung. Eben so muß der Herr des Hauses, nach Beschaffenheit seiner Geschäfte oder seiner Lebensart, außer seinem eigentlichen Wohnzimmer mehr oder weniger andre Zimmer haben, und dieselben müssen von den Zimmern der Frauen des Hauses entweder abgesondert, oder mit denselben verbunden seyn. Auf gleiche Weise muß er jeden besondern Umstand aus dem, was dem Stand und der Lebensart des Eigenthümers zukömmt, genau überlegen. Wenn er nicht auf einmal alles, was dazu gehört, deutlich vor Augen hat, so ist es nicht möglich den künftigen Bewohnern des Hauses alle Bequämlichkeiten zu verschaffen. Denn der Baumeister, der sich blos überhaupt vorsetzt, ein gutes Haus von einer gewissen Anzahl Zimmern zu bauen, und dem Besitzer hernach zu überlassen, wie er sich darin einrichten will, wird nie etwas vollkommenes herausbringen. Die Einrichtung muß vorher genau auf die Umstände und die Bedürfnisse der künftigen Bewohner desselben abgepaßt werden, und bey der ersten Anlage, muß bey jedem einzeln Theile der künftige Gebrauch desselben schon ausgemacht seyn. Zum wenigsten ist dieses die einzige Art etwas Vollkommenes zu machen. [524] Darum muß ein Baumeister nicht blos das, was seiner Kunst eigen ist, verstehen, sondern überhaupt ein Mann von Verstand und reifer Beurtheilung seyn, der zugleich die Welt und die Lebensart aller Menschen, von welchem Stande sie seyen, genau kennet. Ein unverständiger, oder ein leichtsinniger und ausschweifender Baumeister kann Gelegenheit zu mancher Unordnung in der Lebensart geben, und ein ganz vernünftiger hingegen kann viel zu einer vernünftigen und ordentlichen Lebensart beytragen. Es gehört also mehr dazu, als die Säulenordnungen, oder eine regelmäßige Fassade zeichnen zu können.

Wo es irgend angeht, so thut man wol, wenn die Häuser, deren künftige Besitzer ihres Vermögens halber auf die vornehmsten Gemächlichkeiten des Lebens sehen, so angelegt werden, daß der erste Boden 3 bis 4 Fuß über die Erde zu liegen kömmt, wodurch man, außer guten hellen Kellern, schöne halb unterirrdische Kammern und Küchen zum Gebrauch der Hauswirthschaft bekömmt.

Die Tiefe solcher Häuser wird am besten von 48 bis 56 Fuß genommen, damit die Hauptzimmer eine ansehnliche Tiefe bekommen, und in andern Zimmern Alcoven, und wo Licht von den Seiten zu haben ist, kleine Cammern für Bediente, die man zur Hand haben will, und für andre Bequämlichkeiten, können angebracht werden. Auch giebt dieses in etwas großen Häusern zu Nebentreppen die schönste Gelegenheit. Die meisten neueren Häuser in Berlin haben den Fehler, daß sie nicht tief genug sind, indem sie nur 44 bis 45 Fuß haben, einige gar noch weniger.

Häuser, die nur für eine Familie gebauet werden und dabey eine hinlängliche Breite haben, bekommen das beste Ansehen, wenn sie einen hohen Fuß von 5 bis 6 Schuhen, hernach eine Ordnung von Pilastern oder Säulen, mit einem Hauptstok und einer Attique darüber haben.

Bey der merklichen Erhöhung des untersten Bodens über der Erde zeiget sich oft die Schwierigkeit wegen der Einfahrt durch das Haus in den Hof. Denn wo man nicht etwa eine Seite frey hat, an welcher die Durchfahrt kann angelegt werden, so bleibt kein anderes Mittel übrig, als dieselbe auf der rechten oder linken Seite der Fassade anzubringen, wodurch aber meistentheils sehr gegen die Symmetrie angestoßen wird, wie man in Berlin sehr häufig sehen kann.

Die gute oder schlechte Bauart gemeiner Wohnhäuser in einer Stadt kann einen merklichen Einfluß auf den Charakter und die Denkungsart der Einwohner haben, und das, was wir im Artikel Baukunst überhaupt angemerkt haben, kann auf die Wohnhäuser insbesonder angewendet werden. Es ist nicht unter der Würde eines Regenten dafür zu sorgen, daß auch der gemeine Mann ordentlich und bequäm wohne, und von außen, wenn er durch die Straßen geht, nichts sehe, das einen offenbaren Mangel an Ueberlegung anzeige, oder das die Vorstellungen von Unordnung und Unverstand so geläufig mache, daß man sich, weil sie gar zu ofte vorkommen, zuletzt daran gewöhne, und sie nicht mehr beleidigend finde.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 524-525.
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