Canning

Canning

[375] Canning (George), einer der ausgezeichnetsten engl. Staatsmänner der neuesten Zeit, geb. 11. Apr. 1770 zu London, wo sein Vater, welcher seiner Verheirathung wegen mit seiner in Irland ansässigen Familie zerfallen war, anfangs als Rechtsgelehrter, dann als Weinhändler fortzukommen suchte, schon 1771 starb und seine Witwe in der größten Dürftigkeit hinterließ.

Um sich und zwei Töchter zu ernähren, nachdem ihres Gatten Familie die Erziehung des jungen C. übernommen hatte, wurde sie Schauspielerin, heirathete einen Schauspieler und nach dem Tode ihres zweiten Gatten einen Leinwandhändler. Unterdessen legte ihr Sohn die der wissenschaftlichen Ausbildung vorzugsweise gewidmeten Jahre zurück und ließ so glänzende Fähigkeiten bemerken, daß die ausgezeichnetsten engl. Staatsmänner der Volks- und Adelspartei: Burke, Fox und Pitt, ihn ihrer besondern Aufmerksamkeit würdig hielten. Der Letztere namentlich gewann ihn für seine Ansichten und C. trat 1793 durch dessen Vermittelung in das Parlament, wo er, sowie seit 1796 als Unterstaatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten, der Verwaltung Pitt's die wichtigsten Dienste leistete. Allein nicht blos im Parlament und mittels seiner durch Scharfsinn und Witz glänzenden Reden, sondern auch als Schriftsteller trat er wider die damaligen Vertheidiger republikanischer Ansichten auf, was ihn aber keineswegs zum Gegner billiger und gerechter Neuerungen machte, indem er z.B. die Verbesserung der Lage der Schwarzen, sowie die Emancipation oder Wiedereinsetzung der Katholiken in ihre seit der Reformation verlorenen politischen Rechte, nie aus den Augen verlor. Seine Vermählung mit der Tochter des Generals Scott erhöhte nicht blos C.'s Einkünfte, sondern auch seinen Einfluß, allein als Pitt 1801 aus dem Ministerium trat. zog sich auch C. zurück und hielt sich zur Opposition, bis jener 1804 von Neuem das Staatsruder ergriff. Pitt's Tod entfernte 1806 C. abermals von der Verwaltung, allein 1807 schon wurde er Minister der auswärtigen Angelegenheiten und von ihm wurde 1809 jenes Bündniß zwischen Spanien und England abgeschlossen, das so viel zu Napoleon's Demüthigung beitrug und das C. selbst zu seinen glänzendsten Erfolgen zählte. Ein Misverständniß mit seinem Collegen Castlereagh, in Folge dessen sich Beide auf Pistolen schlugen, wobei C. leicht verwundet wurde, zog jedoch im nämlichen Jahre noch die Auflösung des Ministeriums nach sich. Von 1812–20 wurde C. wiederholt von der Stadt Liverpool ins Parlament gewählt, lebte aber seit 1814 zwei Jahre als engl. Gesandter in Portugal, obgleich damals der portug. Hof in Brasilien war. Schon 1817 trat er indessen als Präsident der Abtheilung der indischen Angelegenheiten wieder in das Ministerium, wo er sich 1819 entschieden gegen jede Reform des Parlaments aussprach. Die 1820 wider die Königin Karolina, Gemahlin Georg IV., ergriffenen Maßregeln veranlaßten ihn, sein Amt niederzulegen und eine Reise nach dem Continent zu unternehmen, von wo er erst noch Entscheidung des Processes der Königin zurückkehrte, 1822 zum Generalgouverneur der Besitzungen der brit.-ostind. Compagnie in Indien ernannt wurde und im Begriff war, dahin abzureisen, als der Selbstmord des Marquis von Londonderry Veranlassung ward, daß C. im Sept. das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernahm. Die Hemmung des damaligen reactionairen Einflusses Frankreichs auf Spanien, die Anerkennung der aus den ehemaligen span.-amerik. Colonien entstandenen Freistaaten und die Vermittlung der in Folge der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens zwischen diesem Lande und Portugal schwebenden Streitigkeiten, gehören zu den Glanzpunkten seiner Verwaltung, die jetzt immer entschiedener im Sinne seines Wahlspruchs: »bürgerliche und religiöse Freiheit für die [375] Welt«, zu wirken begann, obgleich ihm die engl. Aristokratie unermüdlich hemmend in den Weg trat. Die engl. Politik erhielt durch C. eine zunehmend selbständige, von der der Mächte des Festlandes abweichende Richtung, der Grundsatz allgemeiner Freiheit ward auch in den Verhältnissen von Handel und Verkehr durch ihn geltend gemacht, und England zollte diesen Bestrebungen so viel Beifall, daß die Nachricht von C.'s Ernennung zum ersten Minister im Apr. 1827 mit allgemeiner Freude aufgenommen wurde. Allein die überhäuften Arbeiten und der Verdruß, den ihm die Umtriebe seiner Gegner verursachten, hatten längst seine Gesundheit untergraben und schon am 8. Aug. desselben Jahres machte der Tod plötzlich seiner glänzenden Laufbahn ein Ende, nachdem er noch im Jul. mit Rußland und Frankreich den londoner Tractat zu Gunsten Griechenlands und zur Erhaltung des europ. Friedens abgeschlossen hatte. C. erhielt neben Pitt in der Westminsterabtei seine Grabstätte, seine Witwe aber, der er kein Vermögen hinterließ, wurde 1828 mit der Pairswürde bekleidet und das Parlament bewilligte ihr ein Jahrgeld von 3000 Pf. Sterl.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 375-376.
Lizenz:
Faksimiles:
375 | 376
Kategorien: