Archipelagus

[278] Archipelagus. So nennt man im Allgemeinen jede Inselgruppe, wie z. B. der indische Archipel, der australische Archipel etc. Den Namen ohne Beisatz führen zwei Inselgruppen, welche zwischen Griechenland und Kleinasien liegen: die Sporaden und die Cykladen. Letztere, näher bei Europa, bilden einen Kreis (cyclus, daher der Name) um das große Delos. Die größte derselben ist Naxos, im Alterthume berühmt und durch die schönen Mythen von Theseus, Ariadne und Bacchus (s. d.) verherrlicht. Der Marmor gibt dem von Paros wenig nach, er verhärtet an der Luft und wird dadurch fast unverwüstlich. – Paros selbst ist[278] halb so groß wie Naxos (4 Quadrat Meilen), hat den trefflichsten Marmor und ist mit Alterthümern der merkwürdigsten Art angefüllt. – Nahe an Paros liegt die Insel Antiparos mit der merkwürdigen Höhle, welche die Aufmerksamkeit vieler tausend Reisenden auf sich gezogen hat. Sie ist der Geburtsort der beiden größten Bildhauer Phidias und Praxiteles (s. d.). – Delos, das Vaterland des Apollo und der Diana, soll, wie die Mythe sagt, mitten aus dem Meer entstanden und in die Cycladen getrieben worden sein, um der Latona einen Zufluchtsort vor der zürnenden Juno zu bieten. – Melos ist gleichfalls reich an Alterthümern, worunter sich die schönste und bescheidenste Venus befindet, ein Meisterwerk erster Größe. – Nicht minder interessant sind die Sporaden, Scio oder Chios, das Vaterland Homer's; Samos, der Ort, wo die Sage, welche Schiller im »Ring des Polykrates« behandelt, entsprang; Patmos, wo Johannes der Heilige im Exil unter einem Baume lebte, welcher noch steht. Da, wo der Apostel die Offenbarung schrieb, sind jetzt Kaffeehäuser, Bäder, eine Moschee, bedeckt von denselben Zweigen, welche dem Propheten Schatten gaben. Kos gegenüber dem heiteren Gnidos, das Vaterland des Hippokrates. Rhodus (s. d.), durch die Mönchsritter, Rhodiser und das Wunderwerk der Welt, den Koloß, berühmt und Lesbos, das Asyl des Aristoteles. – Sie alle gehören zu der großen Inselgruppe, welche vorzugsweise den Namen Archipelagus führt. Unter dem glücklichsten Himmelsstriche gelegen, nicht zu sehr durch die Sonnengluth verbrannt, weil der Schooß des Meeres sie kühlt und doch durchwärmt von ihrem milden Athem, erzeugen sie Alles, was der Mensch nur Köstliches wünschen kann. Beinahe eine Jede dieser kleinen Inseln bildete vor Zeiten ein eigenes Königreich, die Kultur, die Kunst blühte hier auf hoher Stufe, fast jede schmückte ein Tempel, auf allen findet man noch die herrlichsten Ruinen, Denkmale von seltener Schönheit, Statuen vom höchsten Kunstwerth. Die größten Meister wurden unter diesem von der Sonne besonders[279] begünstigten Himmelsstriche geboren und gebildet. Der Frauen Reizendste suchte man auf den paradiesischen Inseln des Archipelagus und so sind vielleicht alle die Fabeln von Najaden, Nereiden, Nymphen, von der Thetis und Amphitrite nur von den schönen Frauen jener Inseln zu verstehen. – Aber die Welt der Wunder ist entflohen; die Zeit stürzte die herrlichsten Denkmäler der Kunst und grausame Feinde zerstörten selbst, was die Natur geschaffen. Mit Feuer und Schwert sind sie wechselweise von Türken, Griechen und anderen Völkern, worunter die Venetianer oben an stehen, verwüstet worden. Ein überaus reicher Boden ersetzte bald Alles wieder, was die Natur Schönes hat; doch die edlen Geschlechter, welche hier wohnten, kehren nicht zurück aus dem Grabe ferner Jahrhunderte. Jene Werke der Kunst, die Ideale eines Skopas, Zeuxis, Apelles etc. sind unwiederbringlich verloren.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 278-280.
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