Geiser

[351] Geiser. Der heiße Sprudelquell, der diesen Namen führt, befindet sich auf Island, jener Insel des hohen Nordens, die sich vor grauen Jahren einer segensvollen Kultur erfreute und nun erstarrt ist in der immer engern Umarmung des Meeres und seiner treibenden Eisblöcke. Die alten dänischen Lieder und die noch altern[351] scandinavischen Gesänge erzählen viel Wunderbares von den Schönheiten des an Helden und Sagen reichen Eilands, und obgleich das in ihm tobende Feuermeer des gewaltigen Hecla durch grauenvolle Eruptionen oft zerstörend über seine Oberfläche ras't, so sind doch auch wiederum die unterirdischen Flammen Schöpfer der erhabensten Naturmerkwürdigkeiten, mit denen sie das öde Land schmücken. Nahe an dem donnernden Vulkane, von schwarzen Felsenmassen umschlossen, die es von der traurigen Ebene scheiden, liegt Schalholt, das Thal Haukakal, eine Oase in der schneebedeckten Wüste, ein wahrer Garten Gottes, den die Allmacht inmitten der äußersten Vernichtung durch Gluth und Eis entstehen ließ. Hier blüht und reist die Orange, der amerikanische vielgestaltige Cactus und die saftige Aloe wurzeln an den gähnenden Spalten des angrenzenden Feuerbergs und zahllose Blüthen des Südens erschließen hier, in der Nachbarschaft der kältesten Zone, ihre sonst nur der heißesten Sonne zugewandten Kelche. Ueber die üppige Vegetation aber erheben sich im Umkreise einer guten Stunde 40–50 heiße Springbrunnen, die wie spielende Kobolde um die Feerei der Natur zu vollenden, bald erscheinen, bald verschwinden. Manche von ihnen entsenden das hellste Wasser, andre ein trübes, thonartiges; hier quillt es ockergelb und roth, denn es floß ja im Innern des Bodens über eisenhaltige Schichten, dort erscheint es milchweiß, und dazu zittert die Erde und die Sonne färbt die tausendfältig sprühenden Strahlenregen und Wassergarben zu den glänzenden Bogen der Iris. Die Quellen sämmtlich entströmen jedoch wahrscheinlich einem großen Becken, das 19 Fuß im Durchmesser mißt und in regelmäßigen Intervallen, nach vorhergegangenem unterirdischen Gebrause, eine Säule kochendheißen Wassers zur Höhe von 90 Fuß emporschleudert – das aber ist der Geiser. Unsern steigt bis 132 Fuß ein zweiter, doch schwächerer Strahl, der neue Geiser oder Strock, welcher sich indeß nicht mit derselben Regelmäßigkeit zeigt. Als das Heidenthum auf Island[352] noch seine Priester hatte, bewohnten solche das Thal Haukakal und benutzten seine Zauber zu vielem Truge, und bis auf den heutigen Tag gibt die krystallklare Fläche des Geiser-Bassins den Abergläubischen seine Orakel; denn schauen zwei Liebende, die ihrer ehelichen Vereinigung ungewiß sind, hinein, und es färben sich regenbogenfarbige Kreise um ihre vom Wasser zurückgespiegelten Häupter, so können sie sicher hoffen in Hymens Freudentempel einzugehen.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 351-353.
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