Oannes (Mythologie)

[464] Oannes (Mythologie), eine berühmte Gottheit der alten Chaldäer und Babylonier, die als Meerungeheuer gedacht und abgebildet wurde; seine Gestalt hatte Menschenbildung, Kopf, Leib, Hände und Füße, aber endete in einen großen und furchtbaren Fischleib. Tief im rothen Meere war seine Wohnung, aus welcher er allmorgens stieg und nach Babylon ging, um Weisheit und Ordnung, Gesetze und Religion, Kunst und Wissenschaft zu lehren. Abends kehrte er zum Meere zurück. Fischverehrung und Heilighaltung war ein Grundzug in dem Kulte und der Mythengeschichte der syrischen und benachbarten Völkerschaften; viele meinen, daß Oannes mit dem Götzen Dagon (s. d.) identisch sei; wie aus der Fluth sich die Erde bildend zum Lichte hob, so läßt die uralte Völkermythe aus ihr auch Götter und Menschen hervorgehen, und so findet sich überall Verwandtes. Gleichwie der Fischgott Oannes Gesetz und Lehre aus der Meerestiefe herausbringt, so der indische Wischnu die heiligen Gesetzesbücher der Veda. Fast jede dieser Mythen bietet dem sinnenden Nachdenken unerschöpflichen Stoff.

–ch–

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 464.
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