Thorwaldsen, Albert

[119] Thorwaldsen, Albert. Nahe bei dem Palast Barberini in Rom sieht man ein glänzendes Künstleratelier, welches fast immer besucht ist von kunstliebenden Reisenden aus allen Gegenden der civilisirten Welt. Dieß ist die geweihte Künstlerwerkstätte des gewaltigen Bildhauermeisters T, in der er jetzt selbst nur in Thon modellirt, das Entworfene aber unter seinen Augen ausführen läßt. Aus dem äußersten Norden sollte der reine Priester kommen, der in Canova's (s. d.) lächelndem Vaterlande die Kunst des Meisels mit germanischem Ernste, durchglüht von den Sonnen des Südens, an der Hand der römischen Grazien hinausgeleitet in den grandiösen Dom nordischer Majestät. T. wurde 1770 auf der Reise von Island nach Kopenhagen geb.; sein Vater war ein armer isländischer Steinmetz, seine Mutter aber stammte den Ueberlieferungen der Familie nach aus dem Geschlechte des nordischen Königs Harald Hildebrand. T. bedarf keiner königlichen Ahnen: ihm reichte Urania die schönere Krone. Seinen ersten Unterricht erhielt er in der Zeichenschule zu Kopenhagen, dann auf der dasigen Akademie der bildenden Künste. Lieblich entblühte hier der fleißige Jüngling und der König unterstützte ihn mit kunstliebender Munificenz, auf daß die Blüthe zur goldenen Frucht reisen könne an Hesperiens Strahlen. 1797[119] kam er nach Rom, und hier unter der Adlerägide der klassischen Kunst, strebte sein Geist mit Adlerfittigen zum Pindus empor. Sein erstes plastisches Meisterwerk war sein Modell zum Jason mit dem goldenen Vließe: sich selbst hatte er durch diese duftende Erstlingsfrucht das goldne Vließ der Ehren erobert; und von nun an folgte sich in ununterbrochener Reihe seine plastische Goldsaat, die immer üppiger aufschoß, und sein römisches Atelier in das Felsenthal des Orpheus umschuf. Bewegten sich doch unter den sanfttönenden Schwingungen seiner Aetherseele die todten Steine umher, und rundeten sich zu Leben und Liebe, oder sprühten Haß und heiße Leidenschaften aus ihren steinernen Augen. Der ganze Olymp stieg zu ihm herab, daß er schauen und bilden konnte: so entstand sein Mars, Venus, Apollo, Amor, Psyche, Hebe, Ganymed und Merkur; und sterblich geboren, doch unsterblich durch Aphrodite's Liebe wurde noch einmal unsterblich durch seinen Meisel der Grazienliebling Adonis. Schon 1810 erschienen 30 Blätter Umrisse, von Riepenhausen und Mori nach seinen Werken gestochen Ebenso groß erscheint er in seinen Reliefs: namentlich in seiner »Tag und Nacht,« – zusammen in dieser Vereinigung ein wahrhafter Festtag der Kunst! – und in dem großen Triumphzuge Alexander's, welchen er zweimal in Marmor ausführte und der in den Stichen von Ruscheweyh und Amsler einen Triumphzug durch alle Kunstcabinete Europa's hielt. – Von dieser antiken Periode ging der Meister später zur christlichen über: in dieser schuf er für die Kathedrale zu Kopenhagen seine vier Reliefs an einem Taufstein, vier Medaillons in eine Halle, für das Giebelfeld der Kirche ein großes Basrelief: Johannes in der Wüste, und für das Innere die kolossalen Propheten und die 12 Apostel. Und zugleich während dessen aus der heiligen Nacht des Doms auch auf Augenblicke hinüberwallend unter dem lächelnderen griechischen Himmel, bildete er dazwischen seine Grazien, seine Hoffnung und Basreliefs auf Monte cavallo. – Alles beeiferte sich jetzt, dem großen Steindichter seine dankbaren Gefühle zu bezeugen:[120] von Napoleon und dem Könige von Baiern erhielt er ehrende Aufträge, der König von Dänemark erhob ihn zum Danebrogritter, und auf einer Reise in die Heimath (1819) wurde er überall mit der vollständigsten Huldigung empfangen. So geschah es, daß man ihm in neuester Zeit die bedeutendsten Werke der bildenden Kunst auftrug. Für Warschau fertigte er die Reiterstatue Poniatowski's; für Rom das Grabmal des Papstes Pius VII; für München das Denkmal des Herzogs Eugen von Leuchtenberg und des Königs Maximilian von Baiern; sowie erst kürzlich die Modelle zu Schiller's Monument in Stuttgart und Guttenberg's in Mainz. Noch lebt er in glücklicher Muße zu Rom, wo er zugleich Präsident der Akademie der schönen Künste San Luca ist.

–i–

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 119-121.
Lizenz:
Faksimiles:
119 | 120 | 121
Kategorien: