Kosmologischer Beweis

[563] Kosmologischer Beweis für das Dasein Gottes ist der Schluß von der Endlichkeit, »Zufälligkeit« (Contingenz), Bedingtheit der Welt (der Dinge) auf die Existenz eines unbedingten, absoluten Wesens als Urgrund der Welt. Gott wird hier als die höchste, letzte Ursache bestimmt, postuliert, welche die Reihe der endlichen Ursachen in der Idee abschließt, als die Ursache, die nicht mehr als Wirkung eines andern betrachtet zu werden braucht. Aber nicht um einen »Beweis«, sondern nur um ein logisches, metaphysisches Argument handelt es sich hier, wie bei allen »Gottesbeweisen« (s. d.).

Des ANAXAGORAS Lehre vom »Geiste« (s. d.), nous, ist kosmologisch fundiert. Die erste Formulierung des kosmologischen Argumentes findet sich bei ARISTOTELES. Alles Werden beruht auf der Realisierung eines Potentiellen durch ein Actuelles als Ursache. Schließlich muß es eine letzte Ursache, die nur actuell, nur, »Form« (s. d.) ist, geben, ein »Unbewegtes« (akinêton), von dem alle Bewegung (Veränderung) herrührt, ein prôton kinoun, einen »Urbeweger«, der reine energeia (ohne dynamis) ist (Met. XII 6, 1071 b 4; XII 8, 1073 a 23; 1073 a 27). Er wirkt nur durch das Streben der Dinge zu ihm hin (hôs erômenon, Met. XII 7, 1072b 3), als höchste Einheit und Denken seiner selbst (vgl. Gott). CICERO fragt: Wenn wir den Weltlauf betrachten, »possumusne dubitare, quin his praesit aliquis vel effector..., moderator tanti operis et muneris? Sic mentem hominis, quamvis eam non videas, ut deum non vides, tamen, ut deum agnoscis ex operibus eins, sic ex memoria rerum, et inventione et celeritate motus omnique pulchritudine virtutis vim divinam mentis agnoscito« (Tusc. disp. I, 28. 69).

Ähnlich argumentieren AUGUSTINUS (Confess. X, 6) und JOHANNES DAMASCENUS (De fide orth. I, 3). Die Notwendigkeit Gottes als der Weltursache betonen ALFÂRÂBI (Font. quaest. C. 2, 3, 13), AVERROËS (Epit. met. IV), MAIMONIDES u. a. Nach HUGO VON ST. VICTOR geht der menschliche Geist von der Erkenntnis seiner Existenz zu der Gottes als der Ursache der ersteren (De sacr. I, 3, 6). »Auctorem sua natura clamat« (l.c. 1, 3, 10). RICHARD VON ST. VICTOR erklärt: »Ex illo esse, quod non est ab aeterno nec a semet ipso, ratiocinando colligitur, et illud esse, quod est a semet ipso« (De trin. I, 8). Der kosmologische Beweis findet sich bei verschiedenen Scholastikern, so bei THOMAS[563] (Contr. gent. I, 13). Er gibt den kosmologischen Beweis »ex ratione causae efficientis«, »ex possibili et necessario«, »ex gradibus«, »ex gubernatione rerum« (Sum. th. I, qu. 2, 3). SUAREZ bestimmt: »Omne est aut est factum, aut non factum seu increatum; sed non possunt omnia entia, quae sunt in universo, esse facta: ergo necessarium est esse aliquod ens non factum seu increatum« (Met. disp. 29, sct. 1, 21).

DESCARTES schließt aus dem Vorhandensein der Idee des Unendlichen in uns auf die Existenz des unendlichen Gottes; aus dem endlichen Ich kann diese Idee nicht stammen, denn in der Wirkung kann nicht mehr Realität (s. d.) enthalten sein als in der Ursache (Medit. III). Ferner daraus, daß das Ich nicht durch sich selbst existieren kann, weil es sonst unendlich, Gott selbst wäre (ib.); »dum in me ipsum mentis aciem converto, non modo intelligo me esse rem incompletam et ab alio dependentem, remque ad maiora et maiora sive meliora indefinite aspirantem, sed simul etiam intelligo illum, a quo pendeo, maiora ista omnia non indefinite et potentia tantum, sed re ipsa infinite in se habere, atque ita Deum esse; totaque vis arqumenti in eo est, quod agnoscam fieri non posse ut existam talis naturae qualis sum, nempe ideam Dei in me habens, nisi revera Deus etiam existeret« (ib.; vgl. Princ. philos. I, 14, 18, 20, 21). Das kosmologische Argument hält LOCKE für unangreifbar (Ess. IV, ch. 10, § 4 ff.). Es findet sich auch bei CLARKE und WOLLASTON (Relig. of nat. p. 67). Nach LEIBNIZ fordert die prästabilierte Harmonie (s. d.) einen Gott, der alles miteinander in Übereinstimmung bringt (Nouv. Ess. IV, ch. 10, § 9). Die Dinge sind »zufällig«, haben kein notwendiges Dasein, daher muß man den Grund der Welt in einem Wesen suchen, das den Grund seines Daseins in sich trägt, notwendig und ewig ist (Theodic. I. B., § 7). Das ist der Beweis »e contigentia mundi«. Auf den kosmologischen Beweis legen CHR. WOLF und H. S. REIMARUS Wert. FEDER erklärt: »Eine Reihe von Folgen ohne Anfang zur Ursache angeben, ist eben so viel als keine Ursache angeben, ist eine Rede voller Widerspruch« (Log. u. Met. S. 398). Wir müssen einen vernünftigen Weltgrund annehmen (l.c. S. 404). VOLTAIRE betont: »Tout ouvrage démontre un ouvrier« (Philos. ignor. XV, p. 74).

KANT erklärt den kosmologischen Beweis in der Form: »Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere zum mindesten ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen« (Krit. d. r. Vern. S. 476) für unzulässig, weil er sich auf den (als falsch erwiesenen) ontologischen (s. d.) Beweis stützt (l.c. S. 478). Positive Einwände gegen das kosmologische Argument sind: l) Der Schluß vom Zufälligen auf eine außerhalb der Welt stehende Ursache ist sinnlos. 2) Der Schluß von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe von Ursachen auf eine erste Ursache ist unberechtigt. 3) Die Vernunft, welche die Bedingung wegschafft, um das Notwendige zu denken, täuscht sich selbst. 4) Die logische Möglichkeit wird dabei mit der transcendentalen verwechselt (l.c. S. 480). Wir sind nicht zur Überschreitung aller Erfahrung berechtigt. – Das kosmologische Argument acceptieren in verschiedener Form SCHLEIERMACHER, C. H. WEISSE, DROBISCH (Grundl. d. Religionsphilos. S. 120 ff.), LOTZE u. a. A. DORNER acceptiert es in dreifacher Form: 1) »Aus der Beschaffenheit der Welt, die in den Gegensatz von Subject und objectiver Realität zerspalten ist und doch diesen Gegensatz ausgleichen will, wird... auf eine letzte Einheit geschlossen, welche die Möglichkeit der Ausgleichung dieses Gegensatzes garantiert.« (Ähnlich bei SCHLEIERMACHER).[564] 2) Alle Dinge stehen in bestimmter Wechselwirkung miteinander. Woher der mechanische Naturzusammenhang? »Auch hier schließt man mit Notwendigkeit auf eine letzte einheitliche Ursache, welche diesen ganzen Zusammenhang geordnet, welche die Weltpotenzen so zusammengeordnet hat, daß sie in dieser Weise aufeinander wirken.« (SCHLEIERMACHER, LOTZE.) 3) Die ganze Kette der Entwicklung setzt, weil zugleich auf Wechselwirkung beruhend, »eine einheitliche Ursache voraus, die in jedem Stadium dieser Entwicklung stets das Aufeinanderwirken ermöglicht und am Ende auch die Ursache dafür ist, daß aus früheren Entwicklungsstadien spätere sich haben entfalten können« (gegen KANT) (Gr. d. Religionsphilos. S. 206 ff.).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 563-565.
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