Moral-Beweis

[689] Moral-Beweis (ethiko-theologischer Beweis), moralisches Argument für das Dasein Gottes. Aus der Existenz des Sittengesetzes wird auf einen Stifter der sittlichen Weltordnung, aus dem Verlangen nach Harmonie zwischen Tugend und Glückseligkeit auf einen gerechten Weltenlenker geschlossen.

Von der Tatsache des Sittengesetzes schließen auf einen Urheber desselben, auf Gott, CALVIN, MELANCHTHON u. a. Den ethiko-theologischen »Beweis« hält KANT für den einzigen, der uns zwar nicht rein theoretisch, aber gestützt auf Postulate (s. d.) der praktischen Vernunft das göttliche Sein gewährleistet. Kant führt zusammenhängend aus: »Nun gebietet das moralische Gesetz, als ein Gesetz der Freiheit, durch Bestimmungsgründe, die von der Natur und der Übereinstimmung derselben zu unserem Begehrungsvermögen (als Triebfedern) ganz unabhängig sein sollen; das handelnde vernünftige Wesen in der Welt aber ist doch nicht zugleich Ursache der Welt und der Natur selbst. Also ist in dem moralischen Gesetze nicht der mindeste Grund zu einem notwendigen Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und der ihr proportionierten Glückseligkeit eines zur Welt gehörigen und daher von ihr abhängigen Wesens, welches eben darum durch seinen Willen nicht Ursache dieser Natur sein, und sie, was seine[689] Glückseligkeit betrifft, mit seinen praktischen Grundsätzen nicht durchgängig einstimmig machen kann. Gleichwohl wird in der praktischen Aufgabe der reinen Vernunft, d. i. der notwendigen Bearbeitung zum höchsten Gute, ein solcher Zusammenhang notwendig postuliert: wir sollen das höchste Gut (welches also doch möglich sein muß) zu befördern suchen. Also wird auch das Dasein einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesamten Natur, welche den Grund dieses Zusammenhangs, nämlich der genauen Übereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit, enthalte, postuliert.« »Diese oberste Ursache aber soll den Grund der Übereinstimmung der Natur nicht bloß mit einem Gesetze des Willens der vernünftigen Wesen, sondern mit der Vorstellung dieses Gesetzes, sofern diese es sich zum obersten Bestimmungsgrund des Willens setzen, also nicht bloß mit den Sitten der Form nach, sondern auch ihrer Sittlichkeit, als dem Bewegungsgrunde derselben, d.h. mit ihrer moralischen Gesinnung, enthalten. Also ist das höchste Gut in der Welt nur möglich, sofern eine oberste Ursache der Natur angenommen wird, die eine der moralischen Gesinnung gemäße Causalität hat. Nun ist ein Wesen, das der Handlungen nach der Vorstellung von Gesetzen fähig ist, eine Intelligenz (vernünftiges Wesen) und die Causalität eines solchen Wesens nach dieser Vorstellung der Gesetze ein Wille desselben. Also ist die oberste Ursache der Natur, sofern sie zum höchsten Gut vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d. i. Gott. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes. Nun war es Pflicht für uns, das höchste Gut zu befördern, mithin nicht allein Befugnis, sondern auch mit der Pflicht als Bedürfnis verbundene Notwendigkeit, die Möglichkeit dieses höchsten Guts vorauszusetzen, welches, da es nur unter der Bedingung des Daseins Gottes stattfindet, die Voraussetzung desselben mit der Pflicht unzertrennlich verbindet, d. i. es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen« (Krit. d. prakt. Vern. I. T., 2. B., 2. Hptst., S. 149 f.). Gott muß aus moralischen Gründen allwissend, allmächtig, allgegenwärtig, ewig u.s.w. sein. So ist der Begriff Gottes »ein ursprünglich nicht zur Physik, d. i. für die speculative Vernunft, sondern zur Moral gehöriger Begriff« (l.c. S. 167 f.). Die »moralische Teologie« ergänzt die physische und hängt mit der »Nomothetik der Freiheit« zusammen (Krit. d. Urt. § 86 ff.). Indem das moralische Gesetz a priori uns einen Endzweck, das höchste Gut, bestimmt, und dieses nur unter der Bedingung der Glückseligkeit zu realisieren ist, so »müssen wir eine moralische Weltursache (einen Welturheber) annehmen« (l.c. § 87). Aber zu betonen ist: »Die Wirklichkeit eines höchsten moralisch-gesetzgebenden Urhebers ist... bloß für den praktischen Gebrauch unserer Vernunft hinreichend dargetan, ohne in Ansehung des Daseins desselben etwas theoretisch zu bestimmen« (ib.). Die Vernunft bedarf der Annahme eines Gottes »nicht, um davon das verbindende Ansehn der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung abzuleiten..., sondern nur, um dem Begriffe vom höchsten Gut objective Realität zu geben, d. i. zu verhindern, daß es zusamt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet« (Was heißt: sich im Denken orientieren2, S. 130, vgl. Vorles. üb. d. philos. Religionslehre 1817, S. 29 ff.). – FECHNER stellt für das Dasein Gottes ein »argumentum a consensu[690] boni et veri« auf (Zend-Av. II, 90 ff.). A. DORNER formuliert das moralische Argument so: »Daß die sittliche Forderung einen unbedingten Charakter hat, wird man anerkennen müssen. Aber sie ist inhaltlich jedesmal durch die gegebenen Verhältnisse bedingt... Diese Forderung gestaltet sich zu einem Ideale, das unter den gegebenen Verhältnissen mit Hülfe der Natur und des eigenen Naturorganismus realisiert werden soll. Da dieses Ideal ein Handeln fordert, das über den Kreis des Ich übergreift und Zwecke setzt, die in der empirischen Welt realisiert werden sollen, so muß vorausgesetzt werden, daß die Natur außer uns und unser eigener Organismus so beschaffen sind, daß sie die Realisierung dieser Zwecke ermöglichen. Die objective Welt, auf die wir handeln, d.h. in der wir unser Ideal verwirklichen wollen, muß mit dem Ideal, mit den Zweckbegriffen, die wir bilden, zusammenstimmen können. Das ist aber nur dann der Fall, wenn wir eine höhere Macht annehmen, welche das Subject mit seiner Ideale bildenden Tätigkeit und die Natur, mittelst deren wir diese Ideale realisieren wollen, füreinander bestimmt hat« (Grundr. d. Religionsphilos. S. 219 f.). Der Endzweck ist die Realisierung des sittlichen Ideals. »Wenn die Gottheit diesen Weltzweck gesetzt hat und beständig für diesen Zweck die Weltordnung begründet, so ist auf sie auch die Setzung dieses Zweckes in unserem Bewußtsein zurückzuführen, und die Erkenntnis des sittlichen Ideals ist durch die Gottheit bedingt, wie seine Realisierung. Die Welt wird dann ein Reich Gottes und Gott ist es, der die Welt dazu bestimmt hat, sein Reich zu sein« (l.c. S. 221).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 689-691.
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