Antonelli

[592] Antonelli, Giacomo, päpstlicher Kardinal-Staatssekretär, geb. 2. April 1806 in Sonnino an der römisch-neapolitanischen Grenze aus einer heruntergekommenen Familie, gest. 6. Nov. 1876, trat in Rom in das Priesterseminar ein. Nachdem er die Weihe als Diakon empfangen hatte, zog ihn Papst Gregor XVI. in seine Nähe und bestimmte ihn für die staatsmännische Laufbahn. A. ward zum Prälaten erhoben, war dann als Assessor beim obersten Gerichtshof, später als Delegat in Orvieto, Viterbo und Macerata tätig und wurde 1841 zum Unterstaatssekretär des Innern, 1844 zum zweiten Schatzmeister, 1845 aber zum Großschatzmeister (Finanzminister) ernannt. Als Pius IX. den päpstlichen Thron bestieg, ging er eifrig auf dessen liberale Reformbestrebungen ein und gewann bald einen maßgebenden Einfluß. Am 12. Juni 1847 Kardinal geworden, trat er in den ersten Ministerrat ein, mit dessen Bildung Pius IX. seine politischen Reformen eröffnete. In dem am 10. März 1848 gebildeten, aus Geistlichen und Laien gemischten Ministerium übernahm A. den Vorsitz. Während der Papst 14. März ein Staatsgrundgesetz proklamierte, schmeichelte A. der nationalen Stimmung, indem er die päpstliche Armee an die nördliche Grenze schickte, von wo das Korps zur Unterstützung der Piemontesen in die Lombardei einrückte. Nach der päpstlichen Allokution vom 29. April, die den Krieg gegen Österreich mißbilligte, nahm A. mit seinem Ministerium die Entlassung, ließ aber bald, die Gesinnungen des Papstes[592] mit scharfem Blick erkennend, die nationale Politik fallen und schwenkte völlig ins Lager der Reaktion über. Auf seinen Rat floh Pius IX. 25. Nov. 1848 nach der Ermordung des Ministerpräsidenten de Rossi nach Gaeta; A. folgte ihm und wurde zum Staatssekretär ernannt. Nach Wiederherstellung der päpstlichen Gewalt durch die Franzosen trat A., der im April 1850 mit dem Papst nach Rom zurückgekehrt war, an die Spitze des neuerrichteten Staatsrats, reorganisierte die Verwaltung, verfolgte seine politischen Gegner und führte ein absolutistisches Polizeiregiment ein. Mahnungen der Mächte zu Reformen wies er zurück, verstand sich auch zu keinem Zugeständnis an die nationalen Wünsche der Italiener und begleitete die »Beraubungen« des Kirchenstaats durch das neue Königreich Italien mit ohnmächtigen Protesten. In seinen letzten Jahren vermochte er seinen Einfluß auf den Papst, der mehr und mehr von den Ratschlägen der Jesuiten abhängig wurde, nicht vollkommen zu behaupten. A. hinterließ ein bedeutendes Vermögen, über das sich ein skandalöser Prozeß zwischen seiner angeblichen Tochter, Gräfin Lambertini, und seinen Verwandten entspann.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 592-593.
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