Aretīno

[738] Aretīno, 1) Pietro, ital. Dichter, geb. 20. April 1492 in Arezzo, gest. 21. Okt. 1556 in Venedig, war der Sohn eines armen Schusters, Namens Luca, genoß eine höchst mangelhafte Erziehung und ging bald nach Perugia, wo er zu dichten begann, sodann (1517) nach Rom. Hier wurde er dank seiner scharfen Satiren berühmt und gefürchtet und trat in den Dienst Leos X. und des Kardinals Giulio de' Medici. Unter Hadrian verließ er mit letzterm Rom und kehrte erst zurück, als dieser als Clemens VII. Papst geworden war. Nach einem Attentat auf sein Leben verließ er Rom abermals, begab sich zu Johann de' Medici und wandte sich nach dessen Tod (1527) nach Venedig, um hier, wo er alle Freiheit für seine Ausschweifungen wie für seine satirische Feder fand, nur von dem Ertrage der letztern zu leben. Sein Ziel war jetzt, Geld zu gewinnen, und bei der Leichtigkeit, mit der er arbeitete, und der Schlauheit, womit er die Großen durch unverschämte Droh- und Schmeichelbriefe auszubeuten verstand, gelangte er bald zu großem Wohlstand. Selbst Kaiser Karl V. und König Franz I. beschenkten ihn mit goldenen Ketten. Der erstere bot ihm sogar die Ritterwürde an, die A. aber ausschlug. Inzwischen hatten seine Schriften ihm eine große Anzahl von Bewunderern erworben, man nannte ihn »den Göttlichen« (il Divino), und nicht nur aus allen Teilen Italiens, sondern selbst aus dem Ausland empfing er Besuche. Stets darauf bedacht, sich auf gutem [738] Fuße mit dem römischen Stuhl zu erhalten, verfaßte er abwechselnd mit den obszönsten Schriften auch Erbauungsbücher, wie: »Della umanità di Cristo« (1535), »La vita di Maria Virgine« (1540), eine Paraphrase der sieben Bußpsalmen u.a. Als Julius III. den päpstlichen Stuhl bestieg, beglückwünschte ihn A. mit einem Sonett, wofür er mit 1000 Goldkronen und dem Orden des heil. Petrus belohnt wurde. A. war unstreitig ein Mann von bedeutendem Talent, den nur sein Mangel an tieferer Bildung und seine Sittenlosigkeit hinderten, sich einen ehrenvollen Platz in der Literatur seines Vaterlandes zu erwerben. Von seinen zahlreichen Werken haben seine fünf Komödien in Prosa: »Il Marescalco« (1533), »La Cortigiana« (1534), »L'Ipocrito« (1542), »La Talanta« (1542), »Il Filosofo« (1546; Neuausg. der Komödien, Mail. 1876), die zu den besten der Zeit gehören, bedeutendes sittengeschichtliches Interesse, und ist die Tragödie »Orazia« in Versen (Vened. 1546) das beste. Die meisten übrigen sind von der krassesten Obszönität. Am bekanntesten darunter sind die berüchtigten, Franz I. gewidmeten »Ragionamenti« (1535–38, 3 Tle., u. ö.; ins Französische übersetzt u. d. T.: »Les dialogues du divin P. A.«, Par. 1879), ein drastisches Gemälde der sittlichen Verderbnis in den höhern Ständen Italiens und deshalb von unzweifelhaftem kulturgeschichtlichen Wert. Wichtig für die Zeitgeschichte sind auch seine »Lettere familiari« (Vened. 1537–57; Par. 1609, 6 Bde.) und die »Lettere scritte al sig. P. A.« (Vened. 1551, Bologna 1873–75). Nicht minder wichtig für die Kultur- und auch für die Kirchengeschichte sind Aretinos auf die Papstwahl Hadrians VI. bezüglichen »Pasquinate« (hrsg. von V. Rossi, Turin 1891) und seine satirischen Prophezeiungen. Vgl. dazu Luzio, Un pronostico satirico di Pietro A. (Bergamo 1900); ferner Mazzuchelli, La vita di P. A. (Padua 1741); Sinigaglia, Saggio di uno studio su P. A. (Rom 1882); Luzio, P. A. nei suoi primi anni etc. (Turin 1888); Graf, Attraverso il cinquecento (das. 1888); Bertani. Pietro A. e le sue opere secondo nuove indagini (Rom 1902).

2) Leonardo, Gelehrter, s. Bruni.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 738-739.
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