Bürgerlicher Tod

[623] Bürgerlicher Tod (franz. Mort civile), Verlust der persönlichen Rechtsfähigkeit. Das römische Recht ließ einen solchen infolge einer capitis deminutio maxima eintreten, d. h. durch den Verlust der Freiheit, der den in feindliche Gefangenschaft Geratenen oder zu besonders schwerer Strafe Verurteilten traf. An jene römisch-rechtlichen Bestimmungen knüpfte das ältere französische Recht an. Nach verschiedenen Schwankungen wurde der bürgerliche Tod in der Napoleonischen Gesetzgebung als die Folge der Verurteilung zum Tode, zu lebenslänglicher Zwangsarbeit und zur Deportation sanktioniert. Die Erbschaft des Verurteilten wurde hiernach eröffnet, gleich als ob er nicht nur bürgerlich, sondern auch physisch tot wäre; seine etwaige Ehe galt als aufgelöst, er konnte keine andre rechtsgültige Ehe eingehen, konnte nicht vor Gericht auftreten und keine Rechtsgeschäfte abschließen. Indessen sind in neuerer Zeit Milderungen in diesem System eingetreten. Das Gesetz vom 31. Mai 1854 läßt jedoch für die zu lebenslänglicher Zwangsarbeit Verurteilten immer noch die Erwerbs- und Testierunfähigkeit eintreten. Das Gesetz vom 25. März 1873 über die nach Neukaledonien Deportierten enthält mildere Bestimmungen. Aus dem französischen Recht war die Nebenstrafe des bürgerlichen Todes vielfach auch in die Gesetzgebung andrer Länder übergegangen. In Bayern bestand der bürgerliche Tod bis 1848; die preußische Verfassung vom 31. Jan. 1850 erklärt ihn in Art. 10 für unstatthaft. Gegenwärtig ist der bürgerliche Tod allenthalben beseitigt. Das ältere deutsche Recht kannte eine direkte Vernichtung der Persönlichkeit (consumtio famae) in der Friedlosigkeit (s.d.), welche die Folge der Oberacht war. Das heutige deutsche Strafrecht kennt nur noch gewisse Verminderungen der Rechtsfähigkeit, die infolge strafbarer Handlungen eintreten und sich als eine Schmälerung der bürgerlichen Ehrenrechte (s.d.) darstellen. Eine Art b. T. ist auch mit der Profeßleistung, d. h. der Ablegung der vota solemnia und der dadurch bewirkten Aufnahme in ein Kloster (s.d.), verbunden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 623.
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