Tod

[505] Tod ist das Aufhören des bestimmten individuellen Lebens, die Auflösung des individuellen Bewußtseinscomplexes parallel mit dem Aufhören des leiblichen Stoffwechsels, der organischen Functionen.

Nach PLATO ißt der Tod eine Trennung der Seele vom Leibe, lysis kai chôrismos psychês apo sômatos (Phaed. 67 C, D). EPIKUR betont, der Tod brauche uns nicht zu kümmern: ho thanatos ouden pros hêmas. to gar dialythen anaisthêtei, to d' anaisthêtoun ouden pros hêmas (Diog. L. X, 139). Nach CICERO ist der Tod nicht, wenn wir sind, und wenn er ist, sind wir nicht (Tusc. disp. I. Cato maior 18, 66). MARC AUREL bemerkt: thanatos anapaula aisthêtikês antitypias (In se ips. VI, 28) Nach PLOTIN ist der Tod ein Gut, da durch ihn die Seele gänzlich zur Tugend gelangen kann (Enn. I, 7, 3). Das Christentum sieht im Tode überhaupt eine Strafe, eine Folge des Sündenfalls (vgl. TERTULLIAN, De an. 52). – Nach SCOTUS ERIUGENA ist der Tod die Rückkehr des Körpers in die Elemente, ohne daß die Beziehung zum Ganzen und zur Seele aufhört (De div. nat. III, 9. 38).

Nach AGRIPPA ist der Tod nur die Trennung von Leib und Seele (Occ. Philos. III, 36). Nach J. B. VAN HELMONT ist der Tod eine »dispositio« der vom Archaeus (s. d.) verlassenen Materie (Magn. oport. p. 153). Nach GASSENDI ist der Tod »privatio sensus, propter excessum animae« (Philos. Epic. synt. II, sct. 3, 22). Nach LEIBNIZ ist der Tod nur eine Involution (s. d.) des Organismus (Monadol. 73). Nach HERDER ist der Tod eine Verwandlung. Nach GOETHE ist der Tod ein Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben. Nach AD. WEISHAUPT heißt Sterben nicht, gänzlich aufhören, ohne alle Vorstellungen sein. »Es heißt vielmehr, eine andere neue Organisation erhalten, seine Receptivität verändern, diese nämlichen Gegenstände auf eine andere Art sehen, erkennen, die Raupenhaut abstreifen, dem, was außer uns ist, die Maske abnehmen, näher in das Innere der Kräfte, obgleich auch dann noch sehr unvollständig, eindringen.« »Der Tod ist der Übergang von einer Art, die Gegenstände zu sehen, zu einer ganz neuen« (Üb. Material. u. Ideal. S. 132 ff.). – Nach CHR. KRAUSE ist der Tod nur ein Übergang zu neuem Leben. Nach NOVALIS ist er ein Heimgehen zum Urgrunde der Dinge. Nach SCHUBERT ist die Ursache des leiblichen Todes das Vorherrschendwerden der centrifugalen Richtung des Lebens (Lehrb. d. Menschen u. Seelenk. S. 64 ff.. 161 ff.. vgl. Gesch. d. Seele § 22). – Nach HEGEL ist der Tod die Allgemeinheit, zu der der einzelne als solcher gelangt (Phänomenol. S. 336). »Die Allgemeinheit, nach welcher das Tier als einzelnes eine endliche Existenz ist, zeigt sich an ihm als die abstracte Macht in dem Ausgang des selbst abstracten, innerhalb seiner vorgehenden Processes. Seine Unangemessenheit zur Allgemeinheit ist seine ursprüngliche Krankheit und der angeborene Keim des Todes. Das Aufheben dieser Unangemessenheit ist selbst das Vollstrecken dieses Schicksals. Das Individuum hebt sie auf, indem es der Allgemeinheit seine Einzelheit einbildet, aber hiermit, insofern sie abstract und unmittelbar ist, nur eine abstracte Objectivität erreicht, worin seine Tätigkeit sich abgestumpft, verknöchert hat und das Leben zur proceßlosen Gewohnheit[505] geworden ist, so daß es sich so aus sich selbst tötet.« »Das Lebendige als einzelnes stirbt an der Gewohnheit des Lebens, indem es sich in seinen Körper, seine Realität hineinlebt« (Naturphilos. S. 692 ff.). Durch das Phänomen des Todes ist »das letzte Außer-sich-sein der Natur« aufgehoben, und »der in ihr nur an sich seiende Begriff ist damit für sich geworden«. Die Natur (s. d.) geht so in Geist über, der wie ein Phönix aus ihr entspringt (l. c. S. 694 ff.: Encykl. § 375 f.). – Nach BENEKE entsteht der Tod »keineswegs durch eine Schwächung, sondern vielmehr durch die fortwährende Verstärkung der innern Ausbildung« (Lehrb. d. Psychol. § 342). »Das Wesentliche des Todes besteht lediglich in der Vernichtung des Zusammenhanges zwischen dem innern Seelenleben und der Außenwelt, von welchen freilich während unseres Erdenlebens die bewußte Entwicklung unserer Seele abhängig ist« (ib.). Durch die reichere Ausbildung des innern Seelenseins wird das Leben der Seele nach innen gezogen, die Reizaufnahme und Anbildung neuer Vermögen beschränkt, endlich ganz sistiert, womit das Bewußtsein aufhört, der Tod eintritt (l. c. § 390 f.. vgl. Syst. d. Met. S. 456 ff.). Nach SCHOPENHAUER ist der Tod nur ein »oberflächliches Phänomen«, von dem das Wesen der Dinge, der einheitliche Wille (s. d.), der außer Raum und Zeit ist, nicht betroffen wird. Tod und Geburt sind nur »Vibrationen« der ewig lebenden Gattung, der Idee (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 41). »So oft ein Mensch stirbt, geht eine Welt unter, nämlich die er in seinem Kopfe trägt«.(Neue Paralipom. § 287). »Der Tod ist... die Belehrung, welche dem Egoismus durch den Lauf der Natur wird« (ib.). Der Tod ist die Ablösung von der Verkehrtheit des Lebens (l. c. § 301). Nach HEBBEL, ist der Tod ein Opfer, welches der Mensch der Idee bringt (Tageb. II, 287. vgl. II, 104 f.). Nach FECHNER ist der Tod »nur ein rascherer und plötzlicherer Wechsel des Leibes und damit das schnelle Ersteigen einer neuen Lebensstufe« (Üb. d. Seelenfr. S. 120), ein Erlöschen des sinnlichen Anschauungslebens (Zend-Av. II, 191). Nach J. H. FICHTE ist der Tod ein »organischer Vorgang, welchen der Lebensproceß selber aus sich erzeugt« (Anthropol. S. 317), ein »Ausscheidungsproceß« (l. c. S. 318), ein »vollständiges Fallenlassen der sinnlichen Medien« (l. c. S. 319 ff). Nach DU PREL, ist der Tod die »Entleibung« des Astralleibes (s. d.), die Ablösung des sinnlichen Bewußtseins durch das transcendentale (Monist. Seelenl. S. 192, 278 ff.). Nach H. WOLFF ist der Tod nur eine Änderung der äußeren Erscheinungsweise (Kosm. II, 317). Nach BR. WILLE ist der Tod »abgetanes Leben«, er entspringt natürlicherweise dem Willen zum Sterben, zur Erlösung von den engen Ich-Schranken (vgl. GOETHE: »Sich aufzugeben ist Genuß«), zum Erwachen zur wahren Lebendigkeit (Offenb. d. Wachholderb. I, 222, II, 391 ff.). Nach E. DÜHRING ist der Tod ein »Act des Lebens selbst«, Ende des individuellen Lebens (Wert d. Leb.3, S. 170 ff.). nach PAULSEN ist der (normale) Tod der innerlich notwendige Abschluß des Lebens (Syst. d. Eth. I5, 316). Vgl. WEISMANN, Die Dauer des Lebens, 1882. GÖTTE, Üb. d. Urspr. d. Todes, 1883. Vgl. Leben, Unsterblichkeit.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 505-506.
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