Bürgerlicher Tod

[473] Bürgerlicher Tod, eine ursprünglich dem Alterthum angehörige, in neuerer Zeit nur noch in einzelnen Gesetzgebungen, namentlich Frankreich beibehaltene Strafe, wo Einer das Bürgerrecht verliert. Bei den Römern unterschied man in dieser Beziehung: a) die Capitis deminutio maxima, diese trat ein: aa) wenn ein römischer Bürger sich der Kriegspflicht entzog, entweder daß[473] er sich nicht zur Aushebung stellte, od. nach der Aushebung nicht an dem bestimmten Sammelplatz erschien, od. durch Verstümmelung seiner Glieder sich selbst dienstunfähig machte; bb) wenn Einer den Census, die Vermögenssteuer, umging; cc) wenn Einer entweder wegen Verletzung des Gesandtenrechtes od. wegen eigenmächtig abgeschlossenen Friedens, durch den Pater patratus, der Feinde übergeben worden war; dd) in alter Zeit, wenn Einer Schulten halber seinem Gläubiger anheimgegeben wurden ee) in späterer Zeit, wenn Einer sich betrügerischer Weise als Sklave verkaufen ließ, um Antheil an dem Gewinn zu haben, er sollte dann Sklave des Käufers bleiben; ff) freie Weiber, welche mit fremden Sklaven lebten; gg) die Freigelassenen wegen schreienden Undanks gegen ihre Patrone; hh) die zum Tode, zum Thiergefecht, zur Arbeit in Bergwerken Verurtheilten; b) Cap. demin. media erlitten aa) diejenigen, welche ins Exil geschickt wurden; bb) die Bürger, welche ihr Vaterland verließen, um anderswo sich niederzulassen, u. cc) die Bürger, die für Staatsfeinde erklärt wurden; hierdurch ging das Bürgerrecht verloren, aber sie blieben Freie; c) die Cap. demin. minima kann nur uneigentlich hiermit zusammengestellt werden, indem diese überall nur da angenommen wurde, wo Jemand die bisherigen Familienrechte verlor u. in eine andere Familie überging. Dies trat aber nicht sowohl zur Strafe ein, sondern schon bei jeder Emancipation, Adoption u. Arrogation. Im älteren Deutschen Rechte begegnet als etwas der Capitis deminutio maxima Ähnliches die Recht- u. Ehrlosigkeit, welche als Folge gewisser Verbrechen gleichfalls den Verlust der öffentlichen u. Privatrechte in sich schloß, so wie die Friedlosigkeit, die indessen nur eine Ausschließung aus dem Schutze des Staates, ohne unmittelbare Beziehung auf den Verlust bürgerlicher Rechte war. Die neuere Idee des bürgerlichen Todes wurde erst durch die Napoleonische Gesetzgebung ausgebildet, der dann noch mehrere andere Gesetzgebungen, namentlich die bairische gefolgt sind. Derselbe beruht auf. der Fiction, daß der zur Todesstrafe, lebenslänglicher Zwangsarbeit (in Baiern zur Kettenstrafe) u. zur Deportation Verurtheilte vom Augenbliche des rechtskräftig gewordenen Strafurtheils an wie physisch todt betrachtet wird. Der Verurtheilte verliert daher mit diesem Augenblicke seine Eigenthums- u. alle Erbrechte, er kann nicht mehr vor Gericht auftreten, keinerlei Rechtsgeschäfte abschließen u. seine Ehe löst sich von selbst auf. In dieser Härte überschreitet der bürgerliche Tod offenbar den Strafzweck, u. neuere Gesetzgebungen haben sich daher mit Recht von dieser an sich unnatürlichen Fiction ferngehalten. Dagegen hat die Bestimmung in derselben öfter Eingang gefunden, daß an gewisse schwerere Criminalstrafen, namentlich an die Zuchthausstrafe, allerdings der Verlust der staatsbürgerlichen Ehren- u. Vorzugsrechte geknüpft ist. Diese Vorzugsrechte selbst sind in den einzelnen Staaten jedoch verschieden bestimmt. Am gewöhnlichsten gehören dazu das active u. passive Wahlrecht zu politischen u. Gemeindeämtern, das Recht, gewisse Gewerbe, namentlich die Advocatur, das Notariat, Buchhandel etc. zu betreiben, die Fähigkeit, Orden u. Ehrenzeichen zu tragen, zuweilen auch das Vorrecht des Adels, indem hierdurch auch nicht das Bürgerrecht verloren ging, sondern eine bloße Veränderung des bürgerlichen Zustandes eintrat. In dem Baierschen Strafgesetzbuche, wo diese Strafe dem Französischen Rechte nachgeahmt war, wurden dem Verurtheilten alle bürgerlichen Rechte, namentlich auf Freiheit, Eigenthum u. Dispositionsfähigkeit, auf Lebenszeit entzogen, daher mit dem bürgerlichen Tode die Ehe getrennt wurde u. das Vermögen an die nächsten Erben fiel. Indeß Fürst Jules Polignac, als Minister Karls X. in Frankreich, wegen Mitvollziehung der Juliordonnanzen von 1830 zum bürgerlichen Tode verurtheilt, hat später mit seiner Gemahlin Kinder, also nach französischen Gesetzen uneheliche, erzeugt u. ist in den baierschen Fürstenstand erhoben worden.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 473-474.
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