Briefsteller

[416] Briefsteller, ursprünglich eine Person, die für andre Briefe abfaßt. Im Mittelalter gab es überall öffentliche Briefschreiber, d. h. Leute, die den des Schreibens Unkundigen briefliche Mitteilungen abfaßten. In Deutschland starb das Gewerbe allmählich ab in dem Maß, als der Volksunterricht allgemeiner wurde, ebenso in Frankreich, England, Dänemark und Schweden. In den Ländern aber, wo die Volksbildung noch so zurück ist, daß die Landbevölkerung der Mehrzahl nach weder des Lesens noch des Schreibens kundig ist, besteht das Gewerbe des öffentlichen Briefstellers noch jetzt, so in Spanien, Portugal, Italien.

B. heißt auch ein Buch, in dem Anweisungen zum Briefschreiben gegeben werden, namentlich in Bezug auf das Formelle. Schon im Altertum wurden Briefe als Muster veröffentlicht. Auch hatte man Theorien über den Brief aufgestellt (Demetrius: »Hem liqigremc«, 223ff., später Libanius, Themistius, Gregor von Nazianz). Auch im frühen Mittelalter existierten zahlreiche Formelsammlungen, vorwiegend juristisch-geschichtlichen Inhalts. Nach dem Vorgang Alberichs von Monte Cassino kam dann ein theoretischer Teil hinzu. Man fixierte fünf Teile der Briefe: salutatio, exordium, narratio, petitio und conclusio. Die Kunst, sie abzufassen, hieß ars dictandi (Literatur bei Rockinger, »Über Formelbücher vom 13. bis zum 16. Jahrhundert«). Auch die Humanisten geben sich mit der Brieftheorie ab (Erasmus von Rotterdam, Bebel). Von deutschen Briefstellern, die im 15. Jahrh. aufkamen, sind die bekanntesten das Augsburger »Formulari«, aus dem 16. Jahrh. die Büchlein von Frangk und Fabri (andre bei Müller, »Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichts«). Im 17. Jahrh. trat das juristisch-notarielle Moment zugunsten des sprachlich-stilistischen sehr zurück. Viel benutzt wurden der »Teutsche Secretarius« von Harsdörfer und die »Teutsche Secretariatkunst von dem Spahten« (K. Stieler). Dann kamen die galanten B. nach französischem Muster auf, und zwar sehr zahlreich. Aber erst Stockhausens und namentlich Gellerts Sammlungen gewannen günstigen Einfluß, dann sank diese Literatur zu ihrer heutigen untergeordneten Stellung herab. Die bekanntesten neuern B. sind von Moritz, Heinsius, Campe, Kiesewetter, Rammler u. a. Auch die Engländer und Franzosen sind reich an Briefstellern; den Reigen führen Richardsons »Familiar letters« und Jauffrets »L'art épistolaire«; aus dem 17. und 18. Jahrh. sind die Werke von De la Serre und Grimaret zu nennen. Italienische Verfasser von Briefstellern, die ihrer Zeit berühmt waren (17. Jahrh.), sind Persico und Loredano. Die meisten orientalischen B., die bei der ausgebildeten Förmlichkeit im Morgenland unentbehrlich sind, sind in arabischer Sprache abgefaßt.

B. für Landwirte. Anleitung zur Ausfertigung von schriftlichen Arbeiten (der Korrespondenz) im Bereiche des landwirtschaftlichen Geschäftsverkehrs geben: Löbe, B. für Landwirte (Leipz. 1879); Domes und Maresch, Korrespondenz (die Schriftstücke) des Landwirtes (Wien 1897); Hoos, Handbuch des stilistischen Unterrichtes für landwirtschaftliche Fortbildungsschulen (3. Aufl., Stuttg. 1885); Krausbauer und Maier, Des Landwirts Schriftenverkehr (Leipz. 1896, 2 Tle.); Petri, Der Gutssekretär (2. Aufl., Berl. 1902); Schleyer, Der Schriftverkehr des Landwirts (Stuttg. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 416.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: