Brougham [2]

[464] Brougham (spr. brū'm), Henry, Lord B., brit. Staatsmann, geb. 19. Sept. 1779 in Edinburg, gest. 7. Mai 1868 in Cannes, studierte in Edinburg und machte sich früh durch mathematische und physikalische Arbeiten bekannt. Gleichzeitig bildete er sich durch Studium und praktische Übung zum Redner und Politiker aus und trat nach größern Reisen auf dem Kontinent als Rechtsgelehrter und politischer Schriftsteller auf. Seine Schrift »An enquiry into the colonial policy ofthe European powers« (Edinb. 1803, 2 Bde.) ist besonders gegen den Sklavenhandel gerichtet. Mit einigen Freunden gründete er 1802 die »Edinburgh Review«, die bald Einfluß auf die öffentliche Meinung gewann; seine darin veröffentlichten Aufsätze erschienen 1856 in 3 Bänden. 1805 siedelte B. nach London über und wurde 1808 hier Rechtsanwalt. Seit 1810 gehörte er dem Unterhaus an, wo er für die Abschaffung des Sklavenhandels und gesetzlicher Mißbräuche wirkte. Nach der Parlamentsauflösung von 1812 erhielt B. erst 1815 wieder einen Sitz im Unterhaus, dessen Mitglied er seitdem bis zu seiner Ernennung zum Peer verblieb. Indem er sich zu fortgeschritten liberalen Grundsätzen bekannte, bekämpfte er den Anschluß Englands an die Heilige Allianz und wirkte namentlich für die Verbesserung der Volkserziehung. Seine darauf bezüglichen Anträge drangen zwar nicht durch; doch machte er sich im Verein mit Gleichgesinnten durch die Stiftung von Kleinkinderschulen und Bildungsanstalten für Handwerker, durch die Begründung der Gesellschaft gemeinnütziger Kenntnisse und durch seine in mehr als 30 Auflagen verbreitete Schrift »Practical observations upon the education of the people« (Lond. 1825; deutsch von Klöden, Berl. 1827) um die allgemeine Bildung verdient. Sein Rednertalent bewies er namentlich 1820 als Verteidiger der Königin Karoline (s.d.) in dem vor dem Oberhaus gegen sie eingeleiteten Prozeß. 1825 wurde B. Lord-Rektor der Universität Glasgow; auch trug er zur Gründung der Londoner Universität (1828) bei und trat 1828 und 1829 für die Emanzipation der Katholiken sowie mit Erfolg für die Verbesserung der Rechtspflege ein. Als 1830 die Whigs unter Lord Grey zur Regierung gelangten, ward B. zum Peer mit dem Titel Baron B. and Vaux und zum Lord-Kanzler ernannt. Wesentlich durch sein Verdienst wurde die Reformbill im Oberhause durchgebracht; außerdem aber entfaltete er durch Reformen in Gerichtsverfassung und Strafrecht eine erfolgreiche Tätigkeit. Nach Greys Rücktritt (Juni 1834) blieb B. unter Lord Melbourne Lord-Kanzler, wurde aber im November mit Melbourne entlassen. In das im April 1835 neugebildete Kabinett Melbournes nicht aufgenommen, blieb er seitdem ohne Amt ein einflußreiches Mitglied des Oberhauses. Während er sich später von der Politik zurückzog und in Südfrankreich physikalischen Untersuchungen lebte (vgl. seine »Tracts; mathematical and physical«,,[464] 2. Aufl., Lond. 1860), blieb er doch seinen Bestrebungen für eine Reform der englischen Gesetzgebung getreu. Seit 1857 beteiligte er sich an den Arbeiten der Social science association, deren Präsident er 1860–65 war. Von seinen Schriften nennen wir noch: »The British constitution, its history and working« (1841; 3. Aufl., Lond. 1868); »Sketches of statesmen of the time of George III.«, denen sich die »Lives of men of letters and science, of the time of George III.« anschließen. Seine meisterhaften Reden erschienen in 4 BändenSpeeches at the Bar and in Parliament«, Edinb. 1845). Eine Sammlung seiner Schriften: »Critical, historical and miscellaneous works«, wurde von ihm selbst herausgegeben (1857, 10 Bde.; neue Ausg. 1872, 11 Bde.). Nach seinem Tod erschienen sein autobiographisches Werk: »Life and times of Lord B.« (Lond. 1871, 3 Bde.) und eine neue Ausgabe seines Romans »Albert Lunel« (1872). Vgl. Campbell, Lives of Lord Lyndhurst and Lord B. (Lond. 1869); Mignet, Nouveaux Éloges historiques, S. 165–237 (Par. 1877).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 464-465.
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