Hüttenkunde

[678] Hüttenkunde, die Lehre von den wissenschaftlichen Grundsätzen, auf denen die Abscheidung der nutzbaren Metalle aus ihren Erzen beruht. Bald nimmt man H. und Metallurgie für identisch, bald versteht man unter letzterer im weitern Sinne die Lehre von der Metallgewinnung überhaupt und zieht auch die Aufbereitungskunde mit in ihr Gebiet; bald weist man der Metallurgie im engern Sinne nur den theoretischen Teil, der H. mehr den praktischen Teil des Hüttenwesens, d. h. der Gesamtheit aller zur Anlage und zum Betrieb von Hütten erforderlichen Kenntnisse, zu. Man teilt die H. gewöhnlich in einen allgemeinen und einen speziellen Teil. Der allgemeine Teil handelt von den den Hüttenmann interessierenden chemischen und physikalischen Eigenschaften der Metalle und ihrer Verbindungen; von den Hüttenprozessen, d. h. den chemischen Prozessen, durch welche die in den Erzen vorhandenen Verbindungen unter Ausscheidung der betreffenden Metalle zersetzt werden; von den zur Hervorbringung dieser Reaktionen erforderlichen Materialien (Erze, Zuschläge, Brennmaterialien[678] etc.) und Hüttenapparaten und zwar Hauptapparaten (Öfen, Lösegefäße, Dynamomaschinen etc.) und Hilfsapparaten (Gebläse, Winderhitzungsapparate etc.); endlich von den Hüttenprodukten, die aus den Prozessen hervorgehen und sein können: Edukte, die aus den Erzen dargestellten Rohmetalle (Kupfer, Blei, Silber etc.); Hüttenfabrikate, als Handelsware abzugebende zusammengesetzte Substanzen, die als solche in den Erzen nicht vorhanden waren, sondern während der Verhüttung durch Vereinigung mehrerer Bestandteile entstanden sind (Hartblei, Realgar etc.); Zwischenprodukte, bei Hüttenprozessen entstandene zusammengesetzte Substanzen, die nicht technisch nutzbar, also keine Handelsware sind und bei größerm Metallgehalt entweder für sich oder gemeinschaftlich mit Erzen weiter verarbeitet werden (Schwarzkupfer, Werkblei, Leche oder Steine, Speisen, reiche Schlacken etc.), oder bei nur geringem, mit Vorteil nicht mehr auszuziehendem Metallgehalt als Hüttenabfälle weggeworfen werden (arme Schlacken, Eisensauen, manche Ofenbrüche etc.). Der spezielle Teil der H., den man wohl in die Metall- und Eisenhüttenkunde zerfallen läßt, umfaßt die Lehre von der hüttenmännischen Gewinnung der einzelnen Metalle unter besonderer Berücksichtigung der dazu erforderlichen Materialien und Apparate.

Die Gewinnung der Metalle begann bereits in vorgeschichtlicher Zeit, man kannte im Altertum Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Quecksilber und lernte Arsen, Antimon, Wismut, Zink kennen, bevor Agricola in seinem Werk »De re metallica« (1530) die erste wissenschaftliche Zusammenstellung der auf Metallgewinnung bezüglichen Grundsätze gab. Die Entwickelung der Metallurgie als Wissenschaft fällt vollständig in das 19. Jahrh., da sie erst durch die Erkenntnis des Verbrennungsprozesses ermöglicht wurde. Seitdem hat die Metallurgie die wissenschaftliche Erklärung der bisher nur durch die Erfahrung bekannten Tatsachen gewonnen und auf Grund dieser Erkenntnis die großartigsten Fortschritte gemacht. Die neueste Entwickelung knüpft sich an die Einführung der Dynamomaschine, deren Erfindung die elektrolytische Abscheidung von Metallen ermöglichte. Vgl. Scheerer, Lehrbuch der Metallurgie (Braunschw. 1848–53, 2 Bde.; unvollendet); Plattner-Richter, Vorlesungen über allgemeine H. (Freiberg 1860 bis 1863, 2 Bde.); Rivot, Principes généraux du traitement des minerais métalliques (2. Aufl., Par. 1872; deutsch von Hartmann, Naumb. 1860); Percy, Metallurgie (deutsch von Knapp, Wedding und Rammelsberg, Braunschw. 1862–88, 4 Bde. und 2 Supplemente); Stölzel, Metallurgie (das. 1863–86); Kerl, Handbuch der metallurgischen H. (2. Aufl., Leipz. 1861–65, 4 Bde.), Grundriß der allgemeinen H. (2. Aufl., das. 1879), Grundriß der Metallhüttenkunde (2. Aufl., das. 1880) und der Eisenhüttenkunde (das. 1875); Dürre, Allgemeine H. (das. 1877) und Vorlesungen über allgemeine H. (Halle 1897–99); Balling, Die Metallhüttenkunde (Berl. 1885); Beckert, Leitfaden zur Eisenhüttenkunde (2. Aufl., das. 1898 ff.); Schnabel, Lehrbuch der allgemeinen H. (2. Aufl., das. 1903) und Handbuch der Metallhüttenkunde (das. 1894–96, 2 Bde.; Bd. 1 in 2. Aufl. 1901); Beckert und Brand, Hüttenkunde (Stuttg. 1895); Wüst und Borchers, Eisen- und Metallhüttenkunde (Leipz. 1900); Frantz und Dannenberg, Hüttenmännisches Wörterbuch (das. 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 678-679.
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