Kontokorrént

[442] Kontokorrént (ital. Conto corrente, frz. Comptecourant, engl. Account current), die laufende Rechnung, die der Kaufmann mit seinem Geschäftsfreunde dadurch führt, daß er die auf diesen bezüglichen Eintragungen aus dem Memorial auf ein besonderes Blatt (Conto) des Haupt- oder Kontokorrentbuches überträgt. Auf der linken Seite werden unter Soll (Debet) die von ihm dem Geschäftsfreund gemachten Leistungen, auf der rechten Seite unter Haben (Credit) die ihm von diesem gemachten Leistungen eingetragen. Sobald das K. abgeschlossen wird, was regelmäßig am Jahresschluß, im Bankgeschäft beim Abschluß jedes Halbjahrs geschieht, werden beide Seiten summiert und der Unterschied der Summen derjenigen Seite, welche die geringere Summe aufweist, als Vortrag (Saldo, ital. saldo, franz. solde, engl. balance) gutgeschrieben, so daß anscheinend beide Seiten gleiche Summen aufweisen. Nach Abschluß des Kontokorrents wird die neue Rechnung (conto nuovo) mit Eintrag des Saldo aus der alten Rechnung (conto vecchio) auf der entgegengesetzten Seite eröffnet. Das abgeschlossene K. teilt man dem Geschäftsfreund in einer Abschrift, die auch K. genannt und mit Datum und Unterschrift versehen wird, zur Anerkennung mit. Die am Schluß desselben beigefügte Klausel S E. et O. (salvo errore et omissione, d. h. unter Vorbehalt von Irrtümern und Auslassungen) ist unwesentlich; auch die Anerkennung des Kontokorrents durch den Geschäftsfreund schließt den Nachweis von Irrtum und Betrug oder eine Anfechtung nach dem Gesichtspunkte der ungerechtfertigten Bereicherung nicht aus. Außer den aus dem Memorial zu übertragenden Posten werden auf dem K. Zinsen, Provision (s. d.), Courtage, Porto und sonstige Spesen gebucht. Die zu berechnende Provision wird gewöhnlich bei Eröffnung des Geschäftsverkehrs festgesetzt. Dieselbe wird nur von einer Seite, und zwar meist von derjenigen des größern Betrags mit Abzug der Frankoposten (Posten, für die keine Provision zu bezahlen, oder für die eine solche bereits angerechnet wurde, dann der Saldo der vorigen Rechnung) je nach dem Umfang des Geschäftsverkehrs in der Höhe von 1/10-1/3 Proz. und mehr berechnet. Courtage (in Deutschland gewöhnlich 1 pro Mille) kommt nur für solche Posten in Anrechnung, welche die Vermittelung eines Mäklers nötig machen. Der Zinsfuß richtet sich nach getroffener Übereinkunft. Er ist 1) für beide Teile (im Soll und im Haben der Rechnung) gleich hoch, oder 2) er ist für beide gleich, doch bringt der Kontokorrentgeber, wenn sein Kommittent im Laufe der Rechnung im Guthaben bleibt, für letzteres keine Zinsen in Anrechnung, oder 3) der Bankier berechnet niedrigere Zinsen, solange er Schuldner, höhere, solange er im Vorschuß ist. Die Zinssätze können auch während der Kontokorrentperiode je nach der Höhe des Diskontosatzes wechseln, was die Zinsberechnung noch komplizierter macht. Sind Zinsen nicht ausdrücklich vereinbart, so kommt die Bestimmung des Handelsgesetzbuches (§ 352–355) in Anwendung. Nach derselben können, wenn nichts andres bedungen ist, Zinsen zu 5 Proz., und zwar bei beiderseitigen Handelsgeschäften aller Art vom Tage der Fälligkeit an, gefordert werden; bei Geschäften mit Nichtkaufleuten kann der Kaufmann im allgemeinen Zinsen nur nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches (4 Proz. nach Verzug) verlangen (vgl. Bürgerliches Gesetzbuch, § 284 ff., 246, 247, 452, 446); dagegen können Kaufleute von allen Darlehen, Auslagen, Vorschüssen und Verwendungen vom Augenblick der Leistung an wie auch vom Überschuß eines abgeschlossenen Kontokorrents vom Tage des Abschlusses an Zinsen zu 5 Proz. fordern, wenn auch in dem Saldo schon Zinsen enthalten sind (Handelsgesetzbuch, § 354, Abs. 2, und § 355).

Bei der Berechnung der Kontokorrentzinsen wird entweder, wie in England und Holland, die wirkliche Zahl der Tage unterstellt, die Jahr und Monat zählen, oder es wird, wie in Deutschland, der Zinsfuß für 360 Tage und bei Ermittelung der Zeit der Monat zu 30 Tagen genommen. Die Zinsen werden entweder für jeden einzelnen Betrag besonders ausgerechnet und dann summiert, oder man wendet hierfür die Rechnung mit Zinszahlen (Nummern) an. Ist das Kapital =k, die Zahl der Tage, für die Zinsen zu berechnen, =z, der Zinsfuß = p/100, so ist der Zinsbetrag des einzelnen Postens = (kz)/360.(p)/100. Ist nun der Zinsfuß für alle Posten gleich hoch, so läßt sich die Rechnung dadurch abkürzen, daß man bei den einzelnen Posten das Kapital k mit der Zahl der Tage z multipliziert, die zwei letzten Stellen abschneidet, bei der Methode mit abgekürzten Nummern einfach streicht, dann alle Produkte (Zinszahlen) zusammenzählt und die Summe derselben durch den sogen. Zinsdivisor (360/p) dividiert. Die Zinsbemessung erfolgt nach folgenden drei Methoden, von denen die ersten beiden, sofern nur ein Zinssatz unterstellt wird, die Anwendung der Zinszahlen gestatten. 1) Die progressive, fortschreitende oder deutsche Abschlußmethode. Bei derselben rechnet man die Zinsen vom Verfalltag des Postens an vorwärts bis zum Abschlußtag des Kontokorrents. Kommen hierbei Posten vor, die erst nach diesem Tage verfallen, so werden die diesen weitern Tagen entsprechenden Zinszahlen mit roter Tinte vorgetragen. 2) Die retrograde, rückschreitende oder Epochemethode. Dieselbe diskontiert sämtliche Posten auf einen gemeinschaftlichen Anfangstermin und berechnet dann vom Kapitalsaldo (Unterschied zwischen Soll- und Habensumme) die Zinsen von diesem Termin an bis zum Abschlußtag. Diese Methode gestattet, ein für den allgemeinen Abschlußtag vorbereitetes K. auch an einem beliebigen andern Tag abzuschließen. Auch kommen die roten Zinszahlen, die hier eigentlich Diskontozahlen sind, mit Ausnahme von ältern Posten in Wegfall. 3) Die in Frankreich übliche skalische Zinsrechnung oder Staffelrechnung. Bei derselben werden die Zinsen je von dem Datum einer Buchung bis zu demjenigen der nächstfolgenden besonders berechnet. Diese Methode ist zwar umständlich und erfordert eine besondere Zinsennote, die dem K. beizufügen ist; doch ist sie ausschließlich anwendbar, wenn im Laufe wechselnde Zinsfüße in Anrechnung kommen, insbes. wenn ein höherer Zinssatz berechnet wird, solange der Saldo im Soll erscheint, ein niedrigerer, solange derselbe im Haben steht.

Der Jurist spricht von K. in einem engern Sinn als der Kaufmann. Während letzterer darunter auch die laufende Rechnung versteht, bei der die in dauernder Geschäftsverbindung Stehenden die einzelnen Schuldposten nicht selbständig geltend zu machen pflegen, nimmt der Jurist ein (eigentliches) K. nur dann an, wenn zwei Personen, von denen die eine ein Kaufmann sein muß, derartig miteinander in Geschäftsverbindung stehen, daß auf beiden Seiten Forderungen und Gegenforderungen vorliegen, daß aber keine[442] einzelne Forderung für sich geltend gemacht werden darf, sondern daß ausschließlich der Rechnungsabschluß, der Saldo, die einzige Forderung bilden soll. Das Anerkenntnis des Saldo bildet einen neuen selbständigen Verpflichtungsgrund, jede frühere Einzelforderung ist damit aufgehoben. Nach einer andern Ansicht tritt diese novierende Kraft des Saldo erst mit dem Vortrag auf neue Rechnung ein. Die Einstellung des einzelnen Postens in das K. hebt letztern dagegen noch nicht auf, derselbe ist aber kreditiert, gestundet, der Schuldner deshalb nicht in Verzug geraten, die Verjährung läuft nicht, die einzelne Forderung kann nicht selbständig gemacht, nicht abgetreten, also auch nicht gepfändet werden. (Ein Gläubiger kann nur den Anspruch auf dasjenige pfänden, was seinem Schuldner als Überschuß aus laufender Rechnung im Augenblick der Pfändung oder bei nächstem Rechnungsabschluß zukommt.) Sobald der Rechnungsabschluß anerkannt und auf neue Rechnung vorgetragen ist, gilt für ihn dasselbe wie für jede einzelne Post der frühern Rechnung. Die Anerkenntnis des Saldo erfolgt durch Zusenden des Rechnungsabschlusses von der einen Seite und Genehmigung von der andern Seite; inwiefern in einem Stillschweigen eine Genehmigung zu erblicken ist, bemißt sich nach allgemeinen Grundsätzen. Vgl. Rothschilds »Taschenbuch für Kaufleute« (44. Aufl., Leipz. 1902); Schiebe-Odermann, Kontorwissenschaft, Bd. 1 (13. Aufl., das. 1891); Levy, Der Kontokorrentvertrag (deutsch von Rießer, Freiburg 1884); J. Greber, Das Kontokorrentverhältnis (das. 1893); Grünhut in Endemanns »Handbuch des deutschen Handelsrechts«, Bd. 3, S. 936; Kemmer, Kontokorrentverkehr (München 1897); Sieveking in der »Zeitschrift für Handelsrecht«, Bd. 45, S. 591; Theusner, Die rechtliche Natur des Kontokorrentvertrags (Halle 1901); Jahn, Kontokorrentzinsrechnung (Berl. 1901); Mohr, Der Kontokorrentverkehr (das. 1902); Vortmann, Lehrbuch für Buchführung und K. (2. Aufl., Mülhauf. i. E. 1903); Buff, Das Kontokorrentgeschäft im deutschen Bankgewerbe (Stuttg. 1904); Kreibig, Die Kontokorrentlehre (Wien 1904); Brosius, Moderne Kontokorrentlehre (2. Aufl., Leipz. 1904); v. Hartmann, Das Kontokurrentverhältnis nach den Vorschriften des neuen Handelsgesetzbuchs (Berl. 1904); die Kommentare zum Handelsgesetzbuche (z. B. von Staub) zu § 355 ff.; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts (6. Aufl., Stuttg. 1903, S. 306 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 442-443.
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