Kumys

[799] Kumys, gegorne und noch in Gärung befindliche Stutenmilch, ein geistiges Getränk, das den Nomadenvölkern des südöstlichen und südlichen Rußland während des Sommers fast ausschließlich als Nahrung dient. Zur Darstellung des K. versetzt man die frische Milch in einem Gefäß aus Pferdehaut zunächst mit altem K. (Kor), der als Ferment dient. Letzteres verwandelt den Milchzucker der Milch zunächst in Laktose, und diese zerfällt dann durch die Gärung in Alkohol und Kohlensäure. Hierbei ist auf die Temperatur zu achten, die gärende Milch von Zeit zu Zeit zu quirlen und in einem bestimmten Stadium des Gärungsprozesses auf Flaschen zu füllen. Ein zwei Tage alter K. (K.-Saumel), der nur für Kranke benutzt wird, enthält außer Wasser: 1,65 Proz. Alkohol, 2,05 Proz. Fett, 2,2 Proz. Zucker, 1,15 Proz. Milchsäure, 1,12 Proz. Eiweißstoffe, 0,28 Proz. Salze und 0,785 Proz. Kohlensäure. K. ist milchweiß, riecht säuerlich, an den spezifischen Geruch des Pferdes erinnernd, schmeckt prickelnd, angenehm säuerlich, mit einem Nachgeschmack nach süßen Mandeln. Er muß auf Eis aufbewahrt[799] werden, doch schreitet die Gärung auch dann langsam fort, bis der Zucker vollständig zersetzt ist. Das vollkommen ausgegorne Produkt bildet den echten K. und ist reicher an Säure und Kohlensäure. Die Nomadenvölker bereiten aus K. durch Destillation einen Milchbranntwein (Araca), aus dem durch Rektifikation der Arsa gewonnen wird. Die Tatsache, daß jene Völkerschaften im Winter durch mangelhafte Nahrung stark abmagern, im Sommer aber beim Kumysgebrauch schnell wieder stark werden, gab wahrscheinlich Veranlassung, den K. als Arzneimittel zu benutzen. Man erzielte glänzende Resultate, und der Ruf des Mittels lockte jährlich zahlreiche Kranke, namentlich Lungenschwindsüchtige, in die Steppen. Diese fanden vielfach Heilung oder Erleichterung, zum Teil wohl mit durch das Klima und die Lebensweise in den Steppen; aber auch in Moskau und an andern Orten wurden mit K. günstige Resultate erzielt. Man genießt anfangs 2–3 Glas, später täglich vier Flaschen und mehr, ernährt sich also so gut wie ausschließlich mit K. Bei diesem starken Konsum von K. tritt auch ein Gefühl von Sättigung ein, und das Bedürfnis nach fester Nahrung schwindet. Dabei zeigt sich anfangs ein leichter Grad von Trunkenheit, dann Abgespanntheit, Müdigkeit und Neigung zum Schlaf, welch letztere während der ganzen Kurzzeit fortzubestehen pflegt. Ganz konstant tritt bei 4–6 Wochen langem Gebrauch des K. eine oft überraschende Zunahme des Ernährungszustandes ein. Dieser ist um so ersichtlicher, je mehr das betreffende Individuum heruntergekommen war, und tritt auch in solchem Fall um so rascher ein. Seinen großen Ruf verdankt der K. seiner Wirksamkeit gegen die Schwindsucht; er wirkt als vortreffliches Ernährungsmittel auf den Zustand des ganzen Körpers, und mit dessen Verbesserung bemerkt man eine Abnahme des Fiebers, eine Beschränkung der Kurzatmigkeit wie auch eine Verminderung des Hustens und Auswurfs. Der Zeitpunkt für die Kumyskur ist gekommen, wenn das Fieber niedrig und stark remittierend ist, bez. ganz fehlt, wenn zu der Abmagerung Blässe der Schleimhäute und der Haut sich gesellt, und wenn die Arterienspannung gering ist. Auch bei andern kachektischen und anämischen Zuständen pflegt sich K. als vortreffliches Ernährungsmittel zu bewähren, so bei der Bleichsucht, bei Anämie nach Blutverlusten, nach profusen Eiterungen, anhaltenden Durchfällen, Bronchoblennorrhöe etc. An mehreren Orten hat man auch K. aus Eselinnen-, Ziegen- und Kuhmilch dargestellt, und dies Surrogat soll gleichfalls gute Dienste geleistet haben. Vgl. Stahlberg, Der K., seine physiologischen und therapeutischen Wirkungen (Petersb. 1869); Biel, Untersuchungen über den K. (Wien 1874); Tymowski, Zur physiologischen und therapeutischen Bedeutung des K. (Münch. 1877); Stange, Über Kumyskuren (in Ziemssens »Handbuch der Therapie«, Bd. 1, Leipz. 1883); Löwensohn, Der K. und seine Anwendung bei Lungentuberkulose (Berl. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 799-800.
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