Mahratthen

[114] Mahratthen (Maratha, Marratten), Volk in Britisch-Indien, das die Gegenden östlich der Westghats, von der Tapti im N. bis zum Oberlauf der Kistna im S. bewohnt, also vornehmlich das Reich des Nizam, Indor und den mittlern Teil der Präsidentschaft Bombay. Die ethnologische Stellung der M. läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen; nach Sprache (s. Mahratti) und Überlieferung sind sie Arier, nach ihrem Äußern aber weit mehr Drawida (s. d.); jedenfalls hat sich hier eine Mischung vollzogen. Frühzeitig zum Brahmanismus bekehrt, betrachten sie sich selber als Hindu und haben als Überlieferungen nur die Mythenbildungen der Brahmanen. Indes beweist die niedere Stellung, die den M. in der Hierarchie der indischen Kasten angewiesen ist, daß sie zu den Bekehrten oder Unterworfenen gehören. Durch die Herrschaft der Arier ist aber die politische Organisation der M. nicht berührt worden, die durchaus republikanisch, also von dem arischen Staatssystem völlig verschieden war und sich auch unter der britischen Regierung erhalten hat. Das Land hatte keine einheitliche Regierung, bestand vielmehr aus einer Genossenschaft von Gemeinden, regiert von erwählten Oberhäuptern (Patel) und einer Gemeindeversammlung (Pantschajet). Man hat danach die M. auch für Dschat angesehen, beeinflußt durch längere Berührung mit Ariern, Bhil, Drawida. Wie jene haben sie trotz aller Wandlungen ihre politischen Institutionen aufrecht zu erhalten gewußt, das Joch der Eroberer abgeschüttelt, das Mongolenreich gestürzt und die Macht der Radschputen gebrochen. Die M. sind heute Ackerbauer und fallen mit der Kaste der Kunbi zusammen, sind also Sudra. Ihrem Äußern nach sind sie von mittlerer Statur, durchschnittlich 1,6 m groß, mit mehr drawidischer Gesichtsbildung, massigen Backenknochen, kleinen Augen und oft aufgestülpter Nase, brauner Hautfarbe in vielen Schattierungen; die sehr kleinen Frauen sind besonders hell, aber unschön. Die M. sind stärker gebaut als die Bewohner Nordindiens, von großer Ausdauer und haben immer gute Soldaten abgegeben. Von starkem Unabhängigkeitssinn beseelt, sind sie immer tatkräftig, aber rücksichtslos in der Wahl der Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke gewesen. Die Zahl aller M. beträgt, wenn man die Sprache zur Richtschnur nimmt, nach dem Zensus von 1901: 18,237,899 Seelen, wovon 8,6 Mill. auf die Präsidentschaft Bombay, 2,9 Mill. auf Haidarabad, 2,2 Mill. auf Berar und 2,1 Mill. auf die Zentralprovinzen kommen. – In der Geschichte werden die M. zuerst 640 v. Chr. genannt; unter König Asoka (259–222) machte ihre Bekehrung zum Buddhismus große Fortschritte, ihre Unabhängigkeit verloren sie aber seit den ersten mohammedanischen Einfällen (1294) mehr und mehr. Indes konnte die Herrschaft der Mogulkaiser nie fest unter ihnen ausgerichtet werden, und 1648 schüttelten sie unter Siwadschis Führung das Joch völlig ab und begannen ihre Eroberungszüge. Allein innere Zwistigkeiten untergruben bald die Macht der M., und als 1714 die Würde der Familienvorstände (Peischwa) erblich wurde, führte deren Herrschsucht zum Bürgerkrieg. Die unglückliche Schlacht von Panipat gegen Ahmed Schah 6. Jan. 1761, in der 200,000 M. fielen, gab der Macht des Peischwa einen entscheidenden Stoß. Fortan übernahmen einzelne Große gesondert die Führung, und als in den Kriegen gegen die Ostindische Kompanie die M. 1818 politisch gänzlich vernichtet waren, blieben als Trümmer des alten Reiches nur die von M. regierten Vasallenstaaten Baroda, Gwalior, Indor und einige kleinere übrig. Vgl. J. C. Grant Duff, History of the Mahrattas (Lond. 1826, 3 Bde.); J. M. Mitchell, In western India (Edinb. 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 114.
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