Naphthalīn

[411] Naphthalīn (Steinkohlenteerkampfer, Naphthylwasserstoff) C10H8 oder H4C4.C2.C4H4 findet sich im Erdöl von Rangun, entsteht, wenn Benzol C6H6, Äthylen C2H4 und Acetylen C2H2 bei hoher Temperatur auseinander wirken, und findet sich daher im Steinkohlenteer (5–10 Proz.), auch im Braunkohlen- und Holzteer. Es scheidet sich in großen Mengen aus dem bei der Destillation des Steinkohlenteers gewonnenen und völlig erkalteten Schweröl aus und kann durch Filtrieren, Ausschleudern oder Pressen abgesondert werden. Zur Darstellung benutzt man meist den bei 180–300° destillierenden Teil des Schweröls, der durch Behandlung mit Natronlauge von seinem Gehalt an Phenol befreit wird. Dies Öl liefert bei der Destillation zuerst wenig leichtes Öl, dann aber so viel N., daß der Inhalt der Vorlage durch das kristallisierende N. breiartig erstarrt.

Tabelle

Man preßt den Brei ab, behandelt den Rückstand mit konzentrierter Schwefelsäure und destilliert im Dampfstrom. Gewöhnlich gießt man das destillierte N. in flache Schalen und bringt die erstarrten Kuchen, nachdem sie noch einmal hydraulisch gepreßt worden sind, in den Handel. Auch durch Sublimation wird N. gereinigt. N. ist durch Kondensation von zwei Benzolkernen entstanden, wie es das nebenstehende Schema zeigt. N. bildet farblose, oft silberglänzende Blättchen, riecht schwach, nicht unangenehm (gewöhnlich infolge von Verunreinigungen penetrant), schmeckt brennend, löst sich schwer in kaltem, leicht in heißem Alkohol, in Äther und Ölen, nicht in Wasser, spez. Gew. 1,145, schmilzt bei 79°, siedet bei 218°, verflüchtigt sich langsam auch bei gewöhnlicher Temperatur und mit Wasserdämpfen, brennt mit leuchtender, rußender Flamme und zeigt in seinem chemischen Verhalten große Ähnlichkeit mit dem Benzol. Die Derivate des Naphthalins entstehen durch Substitution der Wasserstoffatome analog den Benzolderivaten; die beiden Benzolkerne sind gleichwertig, die Derivate aber verschieden, je nachdem das substituierende Atom (Atomgruppe) an der mit α oder β bezeichneten Stelle ein Wasserstoffatom vertritt, und mithin gibt es hier, abweichend vom Benzol, zwei verschiedene Monosubstitutionsprodukte. Die Bezeichnung der verschiedenen Abkömmlinge, wie α- und βNaphtol (C10H7.OH), αNaphthylamin (C10H7. NH2) etc., zeigt die Stellung der substituierenden Atomgruppen an. N. bildet mit Pikrinsäure eine kristallinische Doppelverbindung C10H8.C6H2(NO2)3OH, die bei 149° schmilzt. Wegen seiner ungesättigten Bindungen addiert es Wasserstoff und Chlor, bildet mit konzentrierter Salpetersäure Nitronaphthalin C10H7.NO2, hellgelbe Säulen, löslich in Alkohol und Äther, nicht in Wasser, verpufft bei schnellem Erhitzen, schmilzt bei 58°, gibt mit Zinn und Salzsäure Naphthylamin C10H7.NH2, mit schwefligsaurem Ammoniak Naphthionsäure C10H6.NH2.SO3H. Beim Erhitzen von N. mit Salpetersäure entstehen α- und βDinitronaphthalin C10H6(NO2)2, die beide gelbe Kristalle bilden. Mil Chromsäure bildet N. Naphthochinon, mit verdünnter Salpetersäure Phthalsäure, mit konzentrierter Schwefelsäure zwei Naphthalinmonosulfosäuren C10H7.SO3H und bei stärkerer Einwirkung zwei Naphthalindisulfosäuren C10H6(SO3H)2. N. wirkt giftig auf Pilze und niedere Tiere und dient daher als Schutzmittel für ausgestopfte Tiere, in der Technik zum Karburieren des Leuchtgases und des Wassergases und besonders in der Farbenfabrikation zur Darstellung von Phthalsäure, Naphthylamin, Naphthol etc. N. wirkt auf den Menschen nicht giftig, kann aber Verdauungsstörungen (Durchfall) verursachen; nach Naphthalingebrauch entleerter Harn färbt sich beim Stehen dunkel. Man hat es empfohlen gegen Blasen- und Darmkrankheiten, äußerlich gegen Krätze, als Verbandmittel etc. Vgl. Ballo, Das N. und seine Derivate (Braunschw. 1870); Reverdin und Nölting, Über die Konstitution des Naphthalins und seiner Abkömmlinge (Genf 1880); Reverdin und Fulda, Tabellarische Übersicht der Naphthalinderivate (Basel 1893, 2 Tle.); Täuber u. Norman, Die Derivate des Naphthalins (Berl. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 411.
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