Niam-Niam

[613] Niam-Niam (Sandeh in eigner Sprache, »Fresser«, auf den Kannibalismus anspielend, genannt von den Dinka; von den Bongo Mundo und Manganja, den Dschur O-Madschaka, den Mittu Makraka [s. d.], den Monbuttu Babungera), großer, den Nubavölkern nahestehender Volksstamm (Mischvolk) in Zentralafrika, unter 4–6° nördl. Br., im Gebiete der Quellen des Bahr el Gazal und der Wasserscheide zwischen ihm und den zum Kongo oder Schari fließenden Gewässern. Etwa 2,5 Mill. stark, haben sie sich vom Unterlauf des Mbomu und Uëlle gegen den obern Nil ausgebreitet. An den Grenzen von Dar Für gehören zu ihnen die Kredsch, im O. die Bongo. Die N. (s. Tafel »Afrikanische Völker II«, Fig. 2) sind mittelgroß, untersetzt und fleischig, der Kopf (oft mit Kinnbärten) ist rund und breit, die Stirn gewölbt, die Nase eingedrückt, gerade oder semitisch gebogen, mit stumpfer Spitze und breiten Flügeln, die großen, auseinanderstehenden Augen mandelförmig und schräg gestellt, die Lippen breit, die Hautfarbe rotbraun. Das wollig-krause Haar wird in phantastische Flechten und Knoten gelegt oder zu einem Strahlenkranz geflochten gleich einem Heiligenschein. Beschneidung kennen sie nicht, aber Tätowierung. Die Schneidezähne feilen sie spitz. Als Kleidung wird ein Fellschurz, auf dem Kopf eine vierkantige, mit Federn ausgeputzte Strohmütze, Zierat wenig getragen. Kegelförmige, gut gebaute Hütten stehen in kleinen Weilern auf den Ackerfeldern. Die Frauen arbeiten, die Männer jagen. Einzige Haustiere sind gemästete Hunde und Hühner. Menschenfresserei herrscht überall. Waffen sind Lanzen, Dolche, Krummsäbel, zackige Wurfeisen, länglich-oval geflochtene Schilde, seltener Bogen und Pfeile. Trotz Vielweiberei hängen die Männer an ihren Frauen, die sie nicht früh heiraten. Die Kunstfertigkeit in Holzschnitzerei, Töpfer- und Schmiedearbeiten ist nicht gering (s. Tafel »Afrikanische Kultur III«, Fig. 9, und Tafel »Rauchgeräte I«, Fig. 3 u. 4). Professionelle Sänger begleiten die Gesänge mit Harfenspiel. Auch benutzen sie hölzerne Glocken und Pfeifen. Die Leichen werden, mit Fellen und Federn geschmückt, sitzend oder in hohlen Baumstämmen liegend beerdigt, auf dem Grabhügel wird eine Hütte errichtet. Über die religiösen Anschauungen der N. wissen wir fast nichts. Eine große Rolle spielen die Zauberer und die vor jeder Unternehmung angestellten Augurien, auch Gottesurteile kommen vor. Die N., Freie und Sklaven, zeigen politisch große Zersplitterung: mehr als 100 erbliche Fürsten (Bjän) herrschen im Land. Als erster Europäer besuchte das Land Petherik (1858), dann Schweinfurth (1870) und Junker (1879–83). Wiederholte Überfälle gut bewaffneter N. gegen britisch-ägyptische Truppenabteilungen führten im November 1904 zu systematischen Repressalien Sir Reginald Wingates. Vgl. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika (Leipz. 1878); Junker, Reisen in Afrika (Wien 1889–91, 3 Bde.); Colombaroli, Primi elementi di lingua A-Sandeh, volgarmente Setta N. (Flor. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 613.
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