Nitroglyzerīn

[714] Nitroglyzerīn (Salpetersäure-Triglycerid, Glyzerylnitrat, Trinitrin, Glonoïn, Globoïn, Knallglyzerin, Nitroleum, Nobelsches Sprengöl) C3H5(NO3)3 entsteht bei Einwirkung konzentrierter Salpetersäure auf Glyzerin und wird dargestellt, indem man Glyzerin in ein Gemisch von konzentrierter Salpetersäure und Schwefelsäure einfließen läßt und dabei für energische Kühlung und innige Mischung der Bestandteile durch Einblasen von Luft sorgt, so daß die Temperatur nicht über 30° steigt. Das durch viel Wasser ausgeschiedene, gewaschene und zuletzt mit Sodalösung entsäuerte N. (aus 10 Glyzerin erhält man mit 30 Salpetersäure und 60 Schwefelsäure 20 N.) bildet ein farbloses, gewöhnlich gelbes Öl vom spez. Gew. 1,6, ist geruch los, schmeckt brennend süß, wirkt schon in kleinen Dosen und selbst bei Einwirkung auf die äußere Haut giftig und erzeugt als Dampf eingeatmet Kopfschmerz (s. unten). Es löst sich in Alkohol und Äther, nicht in Wasser, erstarrt bei+8° kristallinisch, schmilzt bei 11°, ist schwer entzündlich, brennt selbst in größern Quantitäten ruhig ab, doch kann eine Explosion eintreten, wenn die Masse sich zu stark erhitzt. Es ist bei vorsichtiger Erwärmung unter 100° flüchtig. Durch Kalilauge wird es in Glyzerin und salpetersaures Kali zersetzt. N. explodiert bei 180° mit großer Heftigkeit, aber auf einer rotglühenden Platte verbrennt ein Tropfen ohne Geräusch. Ein Gefäß mit N. kann an einem Stein zerschellt werden ohne Explosion, aber durch kräftigen Stoß und Schlag explodiert es besonders in dünner Schicht mit furchtbarer Gewalt. Mit dem Gewehr beschossen, explodiert es schon bei einer Entfernung von 150 m. Gefrornes N. ist gegen den Schlag im allgemeinen weniger empfindlich als flüssiges. Größere Massen kommen zu heftigster Explosion, wenn man in denselben eine geringe Menge Knallquecksilber (in einem Kupferhütchen) zur Detonation bringt. Reines N. hält sich lange unverändert; unreines, namentlich saures N. zersetzt sich aber beim Aufbewahren und explodiert dann sehr leicht. Bei der Explosion zerfällt es in Kohlensäure, Wasser, Stickstoff und Sauerstoff. 1 kg N. gibt 710 Lit. Gas (3,5 mal mehr als schwarzes Schießpulver), 1 L. N. gibt 1135 L. Gas (6 mal mehr als Schießpulver). 1 kg N. entwickelt bei der Verbrennung 1,282,000 Wärmeeinheiten (Berthelot), seine Wirkung kann auf 628,000 Kilogrammmeter geschätzt werden. N. übertrifft an explosiver Kraft das Schießpulver bei weitem, weil seine Zersetzung in weit kürzerer Zeit verläuft. Das Verhältnis der größten Pressungen bei Explosionen im geschlossenen Raum verhält sich etwa wie 100: 8, und diesem Verhältnis ist etwa die Sprengwirkung gegen sehr feste Substanzen proportional, während sich in weichen Substanzen (Erde) das Kraftverhältnis zugunsten des Schießpulvers ändert. Am auffälligsten aber ist das Übergewicht des Nitroglyzerins bei Sprengungen mit offen liegenden Ladungen. Reines N. fand in der Technik als Sprengmittel Verbreitung, wurde aber vollständig aufgegeben, als Nobel 1861 entdeckte, daß es, mit porösen Körpern gemischt, Erplosivstoffe liefert, die alle Vorzüge des Nitroglyzerins besitzen, aber handlicher und viel weniger gefährlich sind. Diese neuen Explosivstoffe sind die Dynamite (s. d.), denen sich ähnliche Präparate, wie Dualin, Koloniapulver etc., bei denen die porösen Körper selbst explosiv sind, anschließen. Eine Lösung von Schießbaumwolle in N. bildet die Sprenggelatine und manche rauchlose Pulver. N. bewirkt innerlich genommen Pulsbeschleunigung und Rötung des Gesichts, Kopfschmerz, Leibschmerz, Übelkeit, in großen Dosen Lähmungserscheinungen, Cyanose und Dyspnoë, Kollaps, Zuckerausscheidung. Man benutzt es arzneilich unter dem Namen Angioneurosin bei Angst- und Beklemmungserscheinungen Herzkranker, nervösem und urämischem Asthma und bei Nephritis. Es wurde 1847 von Sobrero entdeckt und 1862 von Alfred Nobel als Sprengmittel in die Praxis eingeführt. Vgl. Sprengstoffe und die dort angegebene Literatur.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 714.
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