Glyzerin

[58] Glyzerin (v. griech. glykerós, »süß«, Glyzerylalkohol, Propantriol, Ölsüß, Scheelesches Süß) C3H8O3 oder CH2OH.CHOH.CH2OH findet sich (8–9 Proz.) mit fetten Säuren und Ölsäure verbunden in den Fetten und wird bei Verseifung der Fette und bei ihrer Behandlung mit Schwefelsäure oder überhitztem Wasserdampf abgeschieden. Daher ist G. Nebenprodukt der Seifen- und der Stearinsäurefabrikation und findet sich in ranzigen Fetten, weil das Ranzigwerden auf einer Zersetzung eines Teils der Fette beruht. G. entsteht in geringer Menge bei alkoholischer Gärung zuckerhaltiger Flüssigkeiten und findet sich daher (3 Proz. vom Gewicht des vergornen Zuckers) im Wein, Bier und in der Schlempe der Branntweinbrennereien. Als Glyzerinphosphorsäure tritt es im Eigelb, im Nervengewebe und in der Galle auf. Im großen gewinnt man G. als Nebenprodukt bei Darstellung von Stearinsäure und Seife. Werden die Fette zur Gewinnung der Stearinsäure mit Kalk verseift, so enthält die abgezogene wässerige Flüssigkeit noch Kalk und etwas Kalkseife; sie wird zur Abscheidung des Kalkes und zur Zersetzung der Seife mit Schwefelsäure behandelt, klar abgezogen, über Knochenkohle filtriert und im Vakuum verdampft. Dies Fabrikat enthält oft Fettsäuren und Ameisensäure und wird daher in der Regel noch raffiniert. Man bringt es auf das spez. Gew. 1,15, behandelt es im Destillationsapparat zuerst mit Wasserdampf von 110°, um Fettsäuren zu verflüchtigen, und destilliert es dann mit Hilfe von Wasserdampf bei 170–180° (höchstens 200°). Die Dämpfe werden durch Dephlegmatoren geleitet, in denen sich reines G., weiterhin mit Wasser verdünntes G., zuletzt fast reines Wasser verdichten. Das verdünnte G. wird von neuem im Vakuumapparat verdampft. Oft kühlt man auch konzentriertes G. unter 5° ab und bringt es durch Einlegen von Glyzerinkristallen zur Kristallisation. Die farblosen Glyzerinkristalle befreit man auf Zentrifugalmaschinen von Mutterlauge und bringt sie zum Schmelzen. Dies Präparat ist von großer Reinheit. Die Unterlaugen der Seifensiedereien enthalten 0,92–1,8 Proz. G. Man kühlt sie stark ab, filtriert zur Entfernung der ausgeschiedenen Stoffe, verdampft sie bis zu einem Glyzeringehalt von 40 Proz., säuert sie mit Salzsäure an, filtriert, verdampft sie im Vakuum auf 80 Proz., kühlt stark ab und filtriert. Dies Rohglyzerin wird im Vakuum destilliert. Der zwischen 170 u. 180° übergehende Anteil ist das einmal destillierte G. des Handels. Es liefert bei nochmaliger Destillation das reine G. Man versetzt auch die Unterlauge mit Schwefelsäure, filtriert, verdampft im Vakuum auf 22° Bé, dann in einem andern Apparat auf 28°, wobei sich das meiste Kochsalz ausscheidet, das wieder zum Aussalzen von Seife benutzt werden kann. Das G. wird im Vakuum destilliert, dann im Vakuum auf das spez. Gew. 1,268 verdampft, abermals destilliert und verdampft und eventuell mit Knochenkohle entfärbt. Auch durch Destillation mit überhitztem Wasserdampf wird G. raffiniert. Man kann G. auch künstlich darstellen, indem man Allyltrichlorid, das Trichlorhydrin des Glyzerins, mit Wasser auf 160° erhitzt, Allylalkohol mit übermangansaurem Kali oxydiert oder Dioxyaceton mit Natriumamalgam reduziert.

G. ist eine sirupartige, farb- und geruchlose Flüssigkeit von rein süßem Geschmack, spez. Gew. 1,265 bei 15°, erstarrt erst bei -40°, bildet aber bei 0°, besonders wenn man einen Glyzerinkristall hineinlegt, farblose, sehr stark lichtbrechende Kristalle, die, von der Mutterlauge getrennt, bei 17° schmelzen. Das spezifische Gewicht bei 15° und die Gefrierpunkte wässeriger Glyzerinlösungen zeigt folgende Tabelle:

Tabelle

G. siedet bei 290° fast ohne Zersetzung, verdampft aber schon bei 100° merklich, besonders auch mit Wasserdämpfen, und in seiner Verteilung verflüchtigt es sich langsam bei gewöhnlicher Temperatur. Trotzdem ist es als eine nicht eintrocknende Flüssigkeit zu betrachten, die sich auch an der Luft nicht verändert. Im luftverdünnten Raum und mit Wasserdämpfen von 180–200° ist es unzersetzt destillierbar. Auf 150° erhitztes G. läßt sich leicht entzünden und verbrennt (auch am Docht) mit ruhiger blauer Flamme ohne Geruch. G. ist sehr hygroskopisch (nimmt an der Luft das gleiche Gewicht Wasser auf), mischt sich mit Wasser, Alkohol und Ätherweingeist, mit konzentrierter Schwefelsäure und Ätzkalilauge, aber nicht mit Äther, Chloroform, Benzin und fetten Ölen. Es löst Alkalien und die alkalischen Erden, Blei-, Kupfer-, Eisenoxyd, viele Salze und Alkaloide.

G. verhindert die Fällung der Schwermetalloxyde durch Alkalien, so daß aus glyzerinhaltiger Kupferlösung durch Ätzkali selbst beim Kochen kein Kupferoxyd abgeschieden wird. Mit Hefe vergärt es bei 20–30° unter Bildung von Propionsäure, mit dem Butylbazillus unter Bildung von Butylalkohol und Trimethylenglykol; mit schmelzendem Kalihydrat gibt es Essigsäure, Ameisensäure und Wasserstoff, mit Phosphorpentoxyd oder Schwefelsäure erhitzt, Acroleïn C3H4O. Unterwirft man ein Gemisch von G. und Oxalsäure der Destillation, so wird die Oxalsäure in Kohlensäure und Ameisensäure gespalten, ohne daß sich das G. verändert; erhitzt man das Gemisch über 100°, so geht auch Allylalkohol über. Verdünnte Salpetersäure oxydiert G. zu Glyzerinsäure und Tartronsäure, bei gemäßigter Oxydation bildet sich Glyzerose, die hauptsächlich aus Glyzerinaldehyd CH2OH.CHOH.CHO und Dioxyaceton CO(CH2OH)2 besteht. Konzentrierte Salpetersäure oxydiert G. zu Oxalsäure und Kohlensäure. Jodphosphor bildet Allyljodid, aus dem ätherisches Senföl (Allylsulfocyanür) und Knoblauchöl (Allylsulfid) dargestellt werden können. G. ist ein dreiatomiger Alkohol und bildet mit Säuren zusammengesetzte Äther (Ester), Glyzeride (s. d.). Wasserfreies G. verursacht, weil es begierig Wasser anzieht, auf zarter Haut und in Wunden Brennen. Innerlich machen 10–15 g G. in größerer Verdünnung gar keine Symptome, größere Mengen wirken abführend. G. ist kein Nahrungsmittel, es wird im Organismus verbrannt, z. T. unverändert ausgeschieden. Ins Blut gespritzt, wirken größere Dosen bei Tieren giftig auf das Zentralnervensystem, den Darm und die Nieren.

Man benutzt G. zum Extrahieren des Hopfens, als Zusatz zum Wein (Scheelisieren), in der Likörfabrikation, zu Limonaden, Punschessenz, Konfitüren, zur Schokoladenfabrikation (um das Austrocknen der Schokolade zu verhindern); zum Einmachen von Früchten, auch zur Konservierung von Eiweiß, Eigelb, Fleisch, in der Mostrichfabrikation; als Zusatz zum Essig, Kau- und Schnupftabak, in der Kosmetik zu Coldcream Pomaden, Haut- und Haarmitteln (es[58] macht aber das Haar starr und rauh), in der Parfümerie zur Extraktion der zarten Blütengerüche, die durch Destillation zerstört werden. Ferner benutzt man es bei der Appretur, in der Spinnerei und Weberei (nicht trocknende Musselinschlichte, durch welche die Weber aus den feuchten Kellern erlöst worden sind), in der Gerberei, Färberei und Zeugdruckerei, zur Darstellung von Bunt- und Pergamentpapier, Kunstwollfabrikation, zum Feucht- und Geschmeidig- erhalten von Treibriemen, Sohlleder, Modellierton, Holzgebinden, Blase, bei der Leim- und Gelatinefabrikation, zur Darstellung von Buchdruckwalzen- und Hektographenmasse und zu elastischen Formen, in der Eisengießerei bei der Hartgußfabrikation, in der Photographie, zum Füllen von Gasuhren (reines G. vom spez. Gew. 1,13), hydraulischen Maschinen und schwimmenden Kompassen, zum Schmieren der Uhren und Maschinen, zum Reinhalten der Schießwaffen, zur Darstellung von Kopiertinte, Stempelfarben und Kopierpapier, in der Tapeten- und Seifenfabrikation, zu Schuhwichse, Kitt, bei Warmwasserheizungen etc. Die größte Menge von G. wird auf Nitroglyzerin und Dynamit verarbeitet; auch dient es zur Darstellung von Ameisensäure (zu Rumäther), Allylalkohol und ätherischem Senföl. Man benutzt es ferner zum Konservieren anatomischer Präparate und der Lymphe für Impfungen, zum Extrahieren des Pepsins, zur Darstellung von Linimenten, Salben, Einspritzungen, zum Feuchterhalten der Pillen- und Tablettenmasse des Englischen Pflasters, der Gelatinekapseln, als Lösungsmittel für Arzneimittel, als äußerliches Arzneimittel gegen spröde, aufgesprungene, wunde Haut, Lippen, Brustwarzen, gegen schmerzhafte Hämorrhoidalknoten, bei Vertrocknung des Gehörganges und andern Ohrenkrankheiten, auch bei manchen Hautkrankheiten, weißem Fluß, zu Klistieren. In allen diesen Fällen ist das G. mit etwa einem Viertel seines Gewichts Wasser zu verdünnen, damit es nicht ein brennendes Gefühl erzeugt. Auch ist zu medizinischen Zwecken nur destilliertes G. anwendbar, weil das raffinierte oft Oxalsäure und Ameisensäure enthält, die auch nach der Verdünnung auf wunder Haut stark brennen (destilliertes G. bleibt beim Vermischen mit einem dem seinigen gleichen Volumen reiner konzentrierter Schwefelsäure farblos und zeigt keine Entwickelung von Kohlensäure und Kohlenoxyd). Man gewinnt gegenwärtig jährlich etwa 40,000 Ton. G., davon 26,000 T. G. bei der Stearinfabrikation und 14,000 T. aus der Unterlauge der Seifensiedereien, davon 9500 T. in Frankreich, 6700 T. in England, 6000 T. in den Vereinigten Staaten, 5000 T. in Deutschland etc.

Das G. wurde 1779 von Scheele entdeckt und, weil aus Öl stammend, Ölsüß genannt. Chevreul erkannte das von ihm G. genannte Ölsüß als beständiges Produkt der Verseifung von Fetten und zog daraus den Schluß, daß die Fette fettsaure Salze mit einer organischen Basis (Glyzeryloxyd) seien, die sich bei der Verseifung als Hydrat, G., abscheide. Die Arbeiten von Pelouze, Berthelot und Wertz ließen dann das G. als dreiatomigen Alkohol erkennen. Praktische Wichtigkeit erlangte es durch die Einführung der Zersetzung der Fette durch Kalk und überhitzten Wasserdampf in die Praxis. 1855 reinigten Wilson und Payne das G. durch Destillation, und Sarg und Crookes entdeckten das Kristallisationsvermögen, das Sarg zuerst praktisch verwertete. Vgl. Burgemeister, Das G. und seine Anwendung (Berl. 1871); Berghaus, Das G. (das. 1882); Koppe, Das G. (Wien 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 58-59.
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