Orseille

[139] Orseille (franz., spr. -ßéllje, Orchil, Archil), roter Farbstoff, der aus verschiedenen, den Gattungen Reccella und Ochrolechnia angehörigen Flechten gewonnen wird. Die Roccella-Arten (Krautorseille, Orchal) wachsen an felsigen Küsten des Mittelmeers, des Atlantischen und Stillen Ozeans und werden besonders aus Madagaskar, Sansibar und den Kanaren in den Handel gebracht. Schweden, Thüringer Wald, Rhön, Jura, Pyrenäen und Schottland liefern die Ochrolechnia-Arten, minder wertvolle Flechten, die auf der Erde, an Steinen und Rinden wachsen (Erdorseille). Die Flechten enthalten Lekanorsäure (β Orsellsäure), Parellsäure, Erythrinsäure, Roccellsäure, Oxyroccellsäure, aus denen bei Behandlung mit Alkalien Orcin entsteht, das bei Einwirkung von Luft und Ammoniak in Orceïn übergeht. Letzteres ist der wesentliche Farbstoff der O. Zur Darstellung der O. werden die zerkleinerten Flechten mit verdünnter Sodalösung ausgekocht, dann der Einwirkung von Luft und Ammoniak (Gaswasser) ausgesetzt und schließlich als breiige Masse in Fässer verpackt. O. ist mehr oder weniger rot- oder dunkelviolett, riecht eigentümlich ammoniakalisch und schmeckt alkalisch. Persio (Persico, Cudbear, roter Indigo) ist reiner und getrocknet; er wird in England, Schottland, Schweden, Nordamerika dargestellt. Orseillepurpur (pourpre français) wird erhalten, indem man die Flechten mit Ammoniak schnell extrahiert, den Auszug mit Salzsäure fällt, den ausgewaschenen Niederschlag (wesentlich Flechtensäuren) in Ammoniak löst, die Lösung der Luft aussetzt, bis sie kirschrot geworden ist, dann kocht und in flachen Gefäßen anhaltend auf 70–75° erhitzt. Wird die purpurfarben gewordene Flüssigkeit mit Alaun oder Chlorcalcium gefällt, so erhält man den bläulich purpurfarbigen Orseillelack, der beim Reiben Kupferglanz annimmt. Ein dem Orseillepurpur ähnliches Präparat ist Orseillekarmin. Man benutzt diese Präparate zum Rot- und Violettfärben von Wolle, noch mehr mit andern Farbstoffen zu braunen Nuancen, den Purpur auch in der Kattundruckerei. Durch die [139] Anilinfarben hat die O. an Bedeutung sehr verloren. Die alten Griechen verstanden mit gewissen Flechten violett zu färben, die Herstellung von O. scheint eine levantinische Erfindung zu sein. Im 14. Jahrh. wurde O. in Florenz dargestellt und von dort aus das übrige Europa damit versorgt. Vgl. Ronceray, Contribution á l'étude des lichens à orseille (Par. 1904). – O. von Auvergne, s. Lecanora.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 139-140.
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