Thüringer Wald

[515] Thüringer Wald (hierzu »Geologische Karte von Thüringen«), Kettengebirge in Mitteldeutschland, erstreckt sich zwischen Thüringen im N. und Franken im S. in südöstlicher Richtung von der Werra unweit Eisenach bis zum Wetzstein bei Lehesten, nach andern nur bis zur Werra und Schwarza, wo es, den Charakter des Plateaus annehmend, in den Frankenwald übergeht (s. Karte »Sächsische Herzogtümer«). Die Länge des Gebirges, über dessen Kamm in seiner ganzen Ausdehnung ein uralter Grenzweg, der sogen. Rennsteig (s. d.), führt, beträgt, die Linie der Werra- und Schwarzaquelle als Grenze angenommen, 75, bis zum Wetzstein 110 km, während die Breite im äußersten Nordwesten kaum 10 km, im SO., zwischen Rudolstadt und Sonneberg, 35 km beträgt. Das Profil des Gebirgszugs mit seinen zahlreichen, schön gerundeten Gipfeln bildet eine sanft gekrümmte Wellenlinie, die namentlich von der Nordseite her einen malerischen Anblick darbietet. Der Kamm selbst erhebt sich nur an wenigen Stellen über 900 m. Im allgemeinen kann man den T. W. nach seiner Längenausdehnung in zwei Hälften teilen, die in ihrer von der geognostischen Zusammensetzung abhängigen Oberflächengestalt sich wesentlich voneinander unterscheiden. Auf ihrer etwa durch die Linie Eisfeld-Amtgehren bezeichneten Grenze haben die Gewässer, die das Gebirge drei Hauptströmen (Elbe, Weser und Rhein) zusendet, ihren Quellknoten. Der nordwestliche Teil bildet bei einer Länge von 75 km und einer Breite von 15–22 km eine schmale, gegen Eisenach keilförmig zugespitzte, durch einen hohen Kamm geschlossene Bergkette mit steilem Abfall nach N. und S. In diesem Teile liegen zugleich die höchsten Gipfel des Gebirges: der Inselsberg (914 m), der Große Beerberg (983), der Schneekopf (976), der Finsterberg (946), der Kickelhahn (861 m) u. a. Der südöstliche Teil (den Wetzstein als Grenze angenommen) stellt sich als ein fast ebenso langes, dagegen 40–50 km breites, wellenförmiges Hochland dar, mit steilem Abfall nach S., breitfüßigen und flach geböschten Bergen, die sich nur wenig über das allgemeine Niveau erheben, und langgestreckten, etwas einförmigen, aber vom gewerblichen Verkehr vielfach belebten Tälern. Als höchste Punkte sind hier zu nennen: das Kieferle (868 m), die Kursdorfer Kuppe (789), der Wurzelberg (866) und der Wetzstein (785 m). Die am höchsten gelegenen, stets bewohnten Orte sind: Igelshieb (835 m), Steinheid (814), Neuhaus a. R. (805), Oberhof (797), Neustadt a. R. (770), Oberweißbach (754), Schmiedefeld (716 m) etc., fast alle im südöstlichen Teile des Thüringer Waldes liegend.

In geognostischer Beziehung (vgl. beifolgende Karte) gehört der T. W. zu den interessantesten und lehrreichsten Gebirgen Deutschlands. Das nordwestliche Ende besteht aus Rotliegendem; weiterhin gegen SO. wächst in der Nachbarschaft der inselartig hervortauchenden Kerne kristallinischen Grundgebirges (Granit, Gneis und Glimmerschiefer in der Gegend von Ruhla, Brotterode und Kleinschmalkalden, Granit bei Zella St. Blasii, bei Schmiedefeld und bei Stützerbach) die Mannigfaltigkeit der Rotliegenden-Sedimente und besonders der gleichalterigen Eruptivgesteine mit ihren Tuffbildungen. Porphyr, Porphyrit und Melaphyr in den verschiedenartigsten Abänderungen durchsetzen gangförmig und überlagern deckenartig die bisweilen stark zurücktretenden und durch zahlreiche Verwerfungen gestörten Schichtgesteine. Dabei walten in den mächtigen Deckenergüssen der tiefsten Stufe des Rotliegenden, wie sie den Granit von Suhl, Schmiedefeld und Stützerbach überlagern, die basischen Eruptivgesteine (Porphyrit und Melaphyr), in der höhern, dem mittlern Rotliegenden zugerechneten Stufe, insonderheit auf der Strecke Tambach-Oberhof-Elgersburg, die sauren Glieder (Quarzporphyr) vor. Von besonderm Interesse sind die in dem untersten Rotliegenden vorkommenden Steinkohlen (Kleinschmalkalden, Manebach, Goldlauter, Crock bei Eisfeld und Stockheim). Südöstlich der Linie Amtgehren-Unterneubrunn hören die zusammenhängenden Eruptivgesteinsdecken ziemlich plötzlich auf, und die Glieder des kambrisch-phyllitischen Schiefersystems (Tonschiefer, Grauwacke, Quarzit), mit den bei Siegmundsburg aufgefundenen Vertretern der ältesten Fauna, treten in der ganzen Breite des Waldgebirges hervor. Schon hart an der Grenze gegen den Frankenwald lagern sich in schmalem, von SW. bis NO. laufenden Streifen von Steinach über Spechtsbrunn, Gräfenthal nach Saalfeld die Glieder des Silur- und Devonsystems auf, ihrerseits den weit in den Frankenwald in großer Fläche sich verbreitenden Kulm (Unterkarbon) tragend. Der ganze Gebirgskörper erscheint als ein durch großartige Bruchlinien (Verwerfungen) von dem ihn allseitig umgebenden, aus Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper gebildeten hügeligen Vorland losgetrennter und stehengebliebener keilförmiger Horst. Wo das Absinken des Vorlandes von demselben weniger in Gestalt scharfer, schnittförmiger Brüche als durch eine Schichtenverbiegung und Niederziehung erfolgte, ist die Zechsteinformation als bald breiterer, bald schmälerer Randsaum des Gebirges erhalten.

Die Gewässer des Thüringer Waldes verzweigen sich zu einem dreifachen Flußgebiet. Zum Elbgebiet gehören die zur Saale gehenden: Selbitz, Loquitz, Schwarza, Ilm und Gera mit Apfelstedt; zum Wesergebiet: die Werra mit Schleuse, Hasel, Schmalkalde, Druse und Hörsel mit Leine; zum Rheingebiet die zum Main gehenden: Rodach und Itz. An größern stehenden Gewässern fehlt es dem Gebirge. Von Mineralquellen sind außer den kalk- und kohlensäurehaltigen Eisenquellen in Liebenstein die Solquellen von Salzungen und Schmalkalden zu nennen, während andre Orte, besonders Elgersburg, Ilmenau etc., sich eines fast chemisch reinen Wassers erfreuen und den dortigen Kaltwasserheilanstalten ihren guten Ruf verschafft haben. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt in den Niederungen etwa 8°, auf dem Inselsberg (914 m) sinkt sie auf 4° herab. Temperaturextreme im Mittel: Erfurt 31° und -20°, Meiningen 31° und -19°, Inselsberg 26° und -15°.[515] Während in der Niederung jährlich etwa 100 Frosttage vorkommen, sind es oben etwa 160. Am stärksten regnet es im Sommer, doch sind oben Oktober, November und Dezember gleichfalls sehr regenreich. Es fallen in Meiningen 64, Eisenach 66, Friedrichroda 87, Hof 66, Großbreitenbach 102, Schmücke 125, Inselsberg 123 cm, und zwar auf dem Kamm an 180–190 Tagen. Am Ausgang der Täler tritt gelegentlich der Föhn auf.

In der Pflanzenwelt herrschen dieselben allgemeinen Züge, die vom Harz durch Sachsen bis zu den Sudeten in den deutschen Mittelgebirgen hervortreten und den Charakter der herzynischen Flora bedingen (s. Deutschland, S. 766 f.). Die untere Bergregion (bis ca. 800 m) trägt teils Laubwaldbestände, teils Nadel mengwälder; erst auf den höhern Stufen treten vorwiegend reine Fichtenbestände auf. Die Buchenwälder bevorzugen die Talgehänge, während die frei gelegenen Bergrücken und Kuppen von weit ausgedehnten Fichtenwaldungen besetzt sind; eingesprengt oder auch in kleinern, einheitlichen Beständen findet sich überall die Edeltanne. Als Unterholzpflanzen kommen außer den überall in Mitteldeutschland verbreiteten Formen Lonicera nigra, Viburnum Lantana u. a. vor. Charakterstauden der Bergregion sind: Digitalis purpurea, Senecio nemorensis und Fuchsii, Prenanthes purpurea, Actaea, in höhern Lagen auch Mulgedium, Ranunculus aconitifolius. Arten von Aconitum u. a. Reich entwickelt zeigt sich die Flora der Bergwiesen, die besonders an Orchideen reich sind; weit verbreitet durch den ganzen T. W. wächst auf den Gebirgstriften auch Meum athamanticum, das bis in die Täler hinabsteigt. Bemerkenswert ist das Auftreten einiger Hochgebirgs- oder Glazialpflanzen. Eigenartige Verbreitungsverhältnisse besitzt im T. W. eine Gruppe von Gewächsen auf den sonnigen Lagen der Gips- und Muschelkalkvorberge, die nach ihrer vorherrschenden Verbreitung in Europa einen südöstlichen oder südlichen Ursprung erkennen lassen. Die größere Mehrzahl dieser Pflanzen dringt von SO. her bis zu dem Zechsteingebiet des Kyffhäusergebirges und mit einzelnen Vorposten sogar bis an die nordöstlichen Vorberge des Harzes vor, ist aber von den nordwestlichsten Teilen Deutschlands ganz ausgeschlossen. Das merkwürdige isolierte Auftreten dieser Pflanzen an weit auseinander liegenden Stellen läßt sie als Überbleibsel einer ehemaligen, in Thüringen vor der Einwanderung der Waldbäume angesiedelten Vegetation mit südosteuropäischem Charakter erscheinen, wofür auch Analogien mit der postglazialen Ausbreitung der steppenbewohnenden Tierwelt Südosteuropas sprechen.

Da sich der T. W. nirgends zu bedeutender Höhe erhebt, zeigt seine Tierwelt kaum besondere Unterschiede von den benachbarten Gegenden des mitteleuropäischen Faunengebiets. Von jagdbaren Tieren finden sich eigentlich nur Reh, Hase und Fuchs, da Hirsch, Damhirsch und Wildschwein nur noch gehegt werden. Die Nagetiere sind durch Kaninchen, Hamster, Siebenschläfer, Eichhorn, Haselmaus und andre Mäuse vertreten, ebenso die Raubtiere (Dachs, Fischotter, Marder, Iltis); die Wildkatze ist selten geworden; die Insektenfresser sind durch Spitzmäuse, Maulwurf und Igel vertreten. Von Vögeln nennen wir die große Trappe; in einzelnen Kolonien kommt auch die Zwergtrappe vor, ob freilich dauernd eingebürgert, ist zweifelhaft. Das Haselhuhn scheint jetzt vollständig zu fehlen, während Auer- und Birkwild vorhanden sind. Wie die großen Raubvögel, so gehen auch Storch und Elster in ihrem Bestand zurück. Genauere Angaben über die Vogelwelt des Thüringer Waldes und von Thüringen, wie auch über dessen sonstige Tierwelt finden sich in Regel, Thüringen, ein geographisches Handbuch, 2. Teil (Jena 1894). Von Reptilien sind vorhanden Lacerta agilis und vivipara, Blindschleiche, glatte Natter, Ringelnatter und Kreuzotter. Von schwanzlosen Amphibien finden sich elf Arten, darunter, allem Anscheine nach weiter verbreitet, als man bisher annahm, die Geburtshelferkröte; geschwänzte Amphibien sind fünf Arten vorhanden, unter ihnen der Leistenmolch (Triton palmatus). Fischarten sind 35 beobachtet, von denen freilich nur eine geringe Anzahl wirtschaftlichen Wert besitzt, wie Aal, Hecht, Forelle, Barbe, Schleie, Karpfen, während Wels und Lachs zwar vorkommen, aber doch zu selten sind, um für die Fischerei Bedeutung zu gewinnen. Die durch Industrie- und Kanalisationsanlagen geschädigte Fischerei Thüringens wird in den letzten Jahrzehnten durch die Bemühung der Fischereivereine wieder gehoben. Von den wirbellosen Tieren sind die Insekten am besten bekannt, und die Beobachtungen über ihre Verbreitung sind in dem oben genannten Werk in übersichtlicher Weise mitgeteilt, ebenso diejenigen über die sonstigen Gliederfüßer, soweit sie bisher bekannt sind. Von Weichtieren zählt Regel 137 Schneckenarten und 23 Muscheln auf.

Von nutzbaren Mineralien sind nur die Steinkohlen, die in dem untersten Rotliegenden von Crock bei Eisfeld, Stockheim in Oberfranken, Manebach und Kammerberg bei Ilmenau, dann bei Goldlauter und noch an mehreren Orten auftreten, und die Manganerze, die auf Gängen im Porphyr bei Ilmenau, Elgersburg, Friedrichroda, Schmalkalden etc. vorkommen, von einiger Bedeutung. Eisenerze finden sich im Porphyr (bei Asbach, Steinbach-Hallenberg) und namentlich in der Zechsteinformation (Stahlberg und Mommel nördlich von Schmalkalden, Kamsdorf bei Saalfeld); ferner lieferte der Zechstein früher Kupfererze (Kupferschiefer bei Ilmenau, Schweina und Fahlerz bei Kamsdorf), Kobalt- und Nickelerze (bei Saalfeld, Asbach und Schweina) sowie Gips (Kittelsthal, Friedrichroda, Liebenstein etc.). Noch jetzt wird Schwerspat und Flußspat, der sich auf Gängen im Zechstein und in dem unterliegenden Gebirge, besonders bei Liebenstein (Steinbach) und Herges-Vogtei, aber auch bei Öhrenstock, findet, gewonnen. Alaun- und Vitriolschiefer sind bei Schmiedefeld im Silur bekannt. Gold fand sich im kambrischen Quarzit von Reichmannsdorf. Kaolin (des Buntsandsteins) wird bei Limbach, Steinheid etc. ausgebeutet. Besondere Erwähnung verdienen die Schieferbrüche im südöstlichen Teil des Gebirges, vornehmlich bei Lehesten. Lebhaft ist die Industrie. Hervorragend sind besonders: die Bearbeitung des Eisens, besonders die Kleinschlosserei und Herstellung der sogen. Schmalkaldener Waren, die Porzellan- und Steingutmanufakturen, die Spielwaren- und Papiermachéfabriken in Sonneberg und Waltershausen, die Meerschaumindustrie in Ruhla, die Glashütten, Glasinstrumenten- und Glasperlenfabrikation, die Griffel-, Schiefertafel- und Farbenfabriken etc. Bedeutend ist der Fremdenverkehr während der Sommermonate. Zahlreiche, meist wohlgepflegte Straßen überschreiten das Gebirge. Ein Gürtel von Eisenbahnen umgibt den T. W., vier Linien durchschneiden ihn von N. nach S. zum Teil in langen Tunnels, andre Linien führen im N. und S. in das Gebirge hinein. Für Hebung des Fremdenverkehrs ist der Thüringerwaldverein tätig. In[516] politischer Beziehung bietet der T. W. noch heute das bunteste Bild dar: Preußen, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Koburg und Gotha, die beiden Schwarzburg, Reuß und Bayern teilen sich in ihn. Vgl. außer den bei »Thüringen« angeführten Werken: Heim, Geologische Beschreibung des Thüringer Waldgebirges (Meining. 1796, 6 Bde.); Credner, Geognostische Karte des Thüringer Waldes (2. Aufl., Gotha 1854, 4 Blatt, mit Erläuterungen); Walther, Geologische Heimatskunde von Thüringen (2. Aufl., Jena 1906); »Thüringen« in Meyers Reisebüchern (18. Aufl., Leipz. 1906); Trinius, Thüringer Wanderbuch (Mind. 1886–1902, 8 Bde.); Pröscholdt, Der T. W. und seine nächste Umgebung (Stuttg. 1891); Heß, Der T. W. in alten Zeiten. Wald- und Jagdbilder (Gotha 1898); Vogel, Topographische Karte vom T. W., 1:150,000 (Gotha); Beyschlag, Höhenschichtenkarte des Thüringer Waldes, 1:100,000(Berl. 1893) und Geognostische Übersichtskarte (das. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 515-517.
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