Pseudo-Isidor

[417] Pseudo-Isidor. Mit diesem Namen bezeichnet man eine groß angelegte kirchliche Fälschung, die aus der Erweiterung einer ältern Kanonssammlung (sogen. Hispana) durch zahlreiche unechte Papstdekretalen besteht. Die Fälschung entstand um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Westfranken, vermutlich in der Erzdiözese Reims. Ihr unbekannter Verfasser nennt sich Isidorus Mercator. Im Verdacht der Fälschung stehen unter anderm der Erzbischof Ebo von Reims, [417] Bischof Rothad von Soissons, auch der Mainzer Diakonus Benedictus Levita, welcher Name jedoch gleichfalls Pseudonym ist. Den Inhalt der Sammlung bilden neben bekanntem, älterm (teilweise unechtem) Material hauptsächlich gefälschte Papstbriefe aus der Zeit Clemens' I. bis Miltiades (gest. 314) und Silvesters (gest. 335) bis Gregor II. (gest. 731). Die Tendenz Pseudo-Isidors ist die Befestigung der bischöflichen Gewalt und ihre Befreiung von der weltlichen, vor allem der weltlichen Gerichtsbarkeit, daneben auch die Einschränkung der Metropolitangewalt. Sein letztes Ziel ist nicht die Steigerung der päpstlichen Macht; er stärkt vielmehr Rom nur, wo es das bischöfliche Interesse zu fordern schien. Die Päpste verwerten die Fälschung seit 865 (s. Nikolaus I.); im westfränkischen Reich erscheint sie seit 852, im ostfränkischen Reich zuerst auf der Synode von Worms (868). Spätere Sammler, vor allem Gratianus (s. d. 3), nehmen zahlreiche Stücke auf. Im Mittelalter wird die Unechtheit nur vereinzelt erkannt, schlagend nachgewiesen erst von den protestantischen Magdeburger Zenturiatoren (1559), nach ihnen von dem reformierten Prediger Blondel; einen kritiklosen Rettungsversuch machte Dumont (1866). Kritische Ausgabe von Hinschius (Leipz. 1863). Vgl. Wasserschleben, Beiträge zur Geschichte der falschen Dekretalen (Breslau 1844); Maassen, Pseudo-Isidorstudien (Wien 1885); Simson, Die Entstehung der pseudo-isidorischen Fälschungen in Le Mans (Leipz. 1886); Seckel in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche«, Bd. 16 (das. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 417-418.
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