Schlaf [2]

[820] Schlaf (Somnus), derjenige in meist regelmäßigen Intervallen eintretende physiologische Zustand, in dem die Äußerungen des Bewußtseins zurücktreten oder selbst vollständig aufgehoben sind. über die nächste Ursache dieses Zustandes konnten bisher nur Vermutungen aufgestellt werden. Jedenfalls scheint es, daß zur Erhaltung des wachen Zustandes fortwährend Sinneseindrücke dem Gehirn zuströmen müssen, und daß deren Abwesenheit den Eintritt des Schlafes begünstigt, wenn nicht bedingt. Während des Schlafes setzen die äußern Sinne ihre spezifischen Verrichtungen aus, die willkürlichen Bewegungen fehlen, und der gesamte Stoffwechsel wird gemindert. Die auch während des Schlafes vorhandene Reaktion auf äußere Reize braucht nicht notwendigerweise auf einen noch vorhandenen Rest von Bewußtsein zurückgeführt zu werden, sondern steht im vollen Einklang mit unsern Kenntnissen von den Reflexbewegungen. Verhältnismäßig am längsten erhält sich beim Einschlafen von allen Sinnestätigkeiten das Gehör. Die Augenlider sind während des Schlafes geschlossen, die Pupillen eng, die Augäpfel nach oben und innen gewendet; das Gesicht ist oft leicht gerötet, Atmung und Puls verlangsamt. Nach dem S. ist das Hungergefühl trotz des vorausgegangenen Fastens nicht besonders lebhaft, die Sinne sind geschärft, die Aufmerksamkeit gesteigert. Man ist zu jeder körperlichen und geistigen Anstrengung neu gekräftigt. Der tiefe S. ist ruhig und dauert in der Regel länger, der leise S. ist zugleich auch unruhig; der Anfangsschlaf ist der tiefste, später nimmt die Tiefe erst schnell, dann langsam ab. Im spätern Verlaufe des Schlafes werden die Sinne empfindlicher, die Träume lebhafter und deren Einfluß auf den Körper größer; die Muskeln sind weniger ruhig; der Organismus nähert sich allmählich den Verhältnissen, die das Wachen charakterisieren, und kommt in einen Halbschlaf, in dem der Verkehr mit der Außenwelt nach und nach wieder angeknüpft wird, so daß das Erwachen infolge der geringfügigsten äußern oder innern Veranlassung eintritt. Das Schlafen wird begünstigt durch körperliche und geistige Ermüdung, durch Minderung der äußern Sinnesreize oder durch fortgesetzte monotone Einwirkung solcher (z. B. durch einförmige Geräusche), ferner durch Kälte, starke Mahlzeiten, den Genuß von Spirituosen; dem S. ist sehr ähnlich die durch gewisse narkotische Schlafmittel herbeigeführte Betäubung (vgl. Schlaflosigkeit). Auch den auf suggestiven Einwirkungen beruhenden Zustand der Hypnose kann man als S. bezeichnen. Das Schlafbedürfnis ist am größten im Säuglingsalter; aber auch das ältere Kind bedarf einer längern Schlafzeit (9–10 Stunden) als der Erwachsene (5–7 Stunden), während umgekehrt im Greisenalter das Schlafbedürfnis weit geringer zu sein pflegt. Auch die Tiefe des Schlafes ist beim Kinde größer als im spätern Alter. Das Schlafbedürfnis ist im übrigen je nach Gewohnheit und Temperament verschieden. Wohlbeleibte Menschen schlafen in der Regel mehr als magere. Dauer und Tiefe des Schlafes nehmen meist zu, wenn größere körperliche oder geistige Anstrengungen vorangegangen sind; indessen tritt bei körperlicher Übermüdung sowohl als bei solchen geistigen Anstrengungen, die eine nachhaltige Anregung der Phantasie bewirken, nicht selten das Gegenteil ein. Als äußere Weckungsmittel dienen die Sinnesreize, namentlich der Schall (Anrufen), grelles Licht, Erregungen der Hautnerven (Berührung). Starke Verminderung oder völliges Aufhören gewohnter Reize können ebenfalls erwecken. Der Müller erwacht, sobald das gewohnte Geräusch des Mühlwerkes aufhört. Vgl. Preyer, Über die Ursache des Schlafes (Stuttg. 1877); Spitta, Die Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele (2. Aufl., Tübing. 1882); Radestock, S. und Traum (Leipz. 1879); Liébeault, Der künstliche S. und die ihm ähnlichen Zustände (deutsch von Dornblüth, Wien 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 820.
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