Telĕologie

[393] Telĕologie (v. griech. telos, Ziel, Zweck), »Lehre von den Zwecken«, die Annahme, daß nicht nur die bewußten Handlungen des Menschen, sondern auch die von menschlicher Willkür unabhängigen Vorgänge des geschichtlichen und Naturlebens durch Zwecke bestimmt sind, und die Betrachtungsweise der Dinge mit Rücksicht auf diese. Die roheste Form der T. ist die Meinung, daß alles für den Menschen gemacht sei, also die Sonne, um ihm zu leuchten, Pflanzen und Tiere zu seiner Ernährung etc. (anthropozentrische T.), die durch ihre absurden Konsequenzen sich selbst aufhebt. Wird nicht gerade das menschliche Dasein, sondern überhaupt die Hervorbringung bestimmter Zustände und Gestaltungen der Dinge als Zweck gedacht, so ist die T. eine kosmische, die bei Voraussetzung eines einzigen, den ganzen Weltprozeß beherrschenden Endzweckes zur metaphysischen T.[393] wird. Während ferner die transzendente T. ein außerweltliches zwecksetzendes Wesen annimmt, sieht die immanente T. die Zwecke als in den Dingen selbst liegend an, denen sie eine gewisse »Zielstrebigkeit« zuspricht. Im Gegensatz zur T. steht die mechanische Weltbetrachtung, welche die objektive Gültigkeit des Zweckbegriffs bestreitet und alle Vorgänge aus dem Zusammentreffen äußerer Umstände ableitet. Während die T. darauf hinzuweisen pflegt, daß man sich die vielen zweckmäßigen Gestaltungen, die wir in der Welt sehen, insbes. in der aufsteigenden Entwickelungsreihe des Tierreichs mit dem vernunftbegabten Menschen an der Spitze, unmöglich als durch ein zufälliges Zusammenwirken blinder Kräfte hervorgebracht denken könne, daß das ganze sittliche Streben der Menschheit seinen Sinn verliere, wenn in der Welt im großen und ganzen nur eine blinde Notwendigkeit herrsche, betonen die Anhänger des mechanischen Determinismus, daß ein Zweck an sich nicht die Kraft habe, sich zu realisieren, also die wirkende Ursache keinesfalls ersetzen könne, daß Zwecke nicht gefunden, sondern mehr oder minder willkürlich in die Außenwelt hinein gelegt würden etc. So wurde denn bei Beginn der Neuzeit durch Descartes, Spinoza und Baco die T. aufs strengste verpönt und der Wissenschaft die Aufgabe gestellt, alles lediglich aus »wirkenden Ursachen« zu erklären. Leibniz versuchte eine Versöhnung der mechanischen und der teleologischen Betrachtungsweise, indem er lehrte, daß alles in der Welt nach mechanischen Gesetzen geschehe, daß diese selbst aber teleologisch bestimmt seien (»die wirkliche Welt ist die bestmögliche«). Nachdem in der nachkantischen idealistischen Philosophie die Zweckbetrachtung zeitweilig vorherrschend gewesen war, wurde sie durch die rasche Entwickelung der Naturwissenschaft, insbes. das Auftreten der Darwinschen Theorie und den materialistischen Monismus (s. d.) wieder völlig zurückgedrängt; erst in den neuesten Systemen (von Lotze, v. Hartmann, Wundt) wird wieder versucht, beide Betrachtungsweisen harmonisch zu verbinden. Daß eine jede von ihnen eine gewisse Berechtigung hat, geht schon daraus hervor, daß wir in allen Fällen ebensogut von der Ursache auf die Wirkung, wie von der (als Zweck aufgefaßten) Wirkung zurück auf die Ursache (als das dem Zweck entsprechende Mittel) schließen können. Die teleologische Auffassung drängt sich nun überall da als die nächstliegende auf, wo, wie bei den Lebewesen, eine Fülle von Leistungen (als Wirkungen) gegeben, ihre Ursachen aber zunächst ganz in Dunkel gehüllt sind; hier hat sich die T. als heuristische Methode bewährt. – Über naturwissenschaftliche T. s. Zweckmäßigkeit.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 393-394.
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