Gajus

[845] Gajus, 1) so v.w. Cajus; bes. 2) Name eines römischen Juristen, welcher unter Hadrian, Antonius Pius u. Marcus Aurelius lebte, u. von dem ein weiterer Zuname nicht bekannt ist, da die Annahmen, daß er Titus G., od. Gabius Bassus, od. G. Pomponius geheißen habe, nur willkürlich sind. Von seinen Schriften sind Commentare über die 12 Tafeln, zu der Lex Julia et Papia Poppaea, zu den prätorischen, ädilischen u. Provinzialedicten etc. bekannt; seine Hauptschriften aber sind die Commentarii IV Institutionum u. die Libri VII rerum quotidianarum s. aureorum, welche beide, namentlich das erste, bis zu Justinian die erste Anleitung für den Unterricht in den römischen Rechtsschulen bildeten. Die Institutionen sind in einer dreifachen Gestalt auf unsere Zeit gekommen: a) in einem Auszuge, welchen Alarich II., König der Westgothen, in das für die römischen Unterthanen seines Reiches bestimmte Rechtsbuch, das sogenannte Breviarium Alaricianum (s.d.) aufnehmen ließ; b) in der Überarbeitung, welche Justinian ihnen in[845] einen Institutionen (s.u. Corpus juris) gab; endlich aber c) zu einem großen Theile jetzt im Originaltext, indem 1816 eine Handschrift desselben von Niebuhr in einem Codex rescriptus der Bibliothek des Domcapitels zu Verona entdeckt wurde. Die Handschrift, im Ganzen 126 Quartblätter umfassend, von welchen auf 125 Blättern über den ursprünglichen Text Briefe des heiligen Hieronymus geschrieben waren, wurde 1817 im Auftrage der Berliner Akademie durch Göschen u. Becker, denen sich Bethmann-Hollweg anschloß, entziffert; doch sind noch immer viele Stellen unlesbar geblieben u. auch bei einer späteren Revision von Blume 1824 nur zum Theil aufgeklärt worden. Die Entdeckung dieser Handschrift ist für die innere Geschichte einer großen Anzahl römischer Rechtsinstitute wahrhaft epochemachend gewesen, u. zahlreiche Schriften haben sich bald an Kritik, Emendation u. Interpretation derselben versucht. Ausgabe von Göschen 1820, 2. A. 1824; von Klenze, Gaji et Justiniani institutiones conjunctae, Berl. 1829; Heffter, Bonn 1830 u. im Bonner Corp. jur. antejust.; das 4. Buch, welches die Actionen behandel:, bes. Berlin 1827, von Lachmann, Bonn 1841 f., Böcking, 4. Ausg., Lpz. 1855; in deutscher Übersetzung von v. Brockdorff, Bd. I. Schlesw. 1824, in französischer von Boulet 1826 u. von Domenget, Paris 1843. Vgl. außerdem Brinkmann, Notae subitaneae, Schlesw. 1821; Gans, Scholien zu G., Berl. 1821; Dupont, Disquisit. in Comm. IV., Leyd. 1822; Unterholzner, Conjecturae de supplendis lacunis in Gaji Inst Comm. IV. occurrentibus, Bresl. 1823; Schrader, Was gewinnt die Römische Rechtsgeschichte durch G. Institutionen? Heidelb. 1823; u. Beiträge zur Kritik u. zum Verständniß der Institutionen des G., Lpz. 1855; Pöschmann, Studien zu G., Lpz. 1854. In den Pandekten sind von G. 535 Stellen aufgenommen. G. erscheint als der letzte Jurist, welcher in dem Gegensatz der Proculejanischen u. Sabinianischen Rechtsschule als entschiedener Anhänger der letzteren auftritt. Nach dem Umstand, daß er immer nur mit dem einen Namen vorkommt, daß er vor Valentinians Citirgesetz (vom Jahre 426 v. Chr.) von Andern nicht als Autorität angerufen wird u. auch unter seinen Schriften sich keine Werke befinden. welche auf eine unmittelbar praktische Anwendung des Rechtes Bezug nehmen, muß man schließen, daß er wahrscheinlich nur ein Gelehrter, der wohl auch eine Rechtsschule hielt, nicht aber ein Jurist mit dem Rechte des Respondirens war.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 845-846.
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