Pendel

[799] Pendel (v. lat. Pendulum), 1) ein schwerer Körper, welcher an einem Faden od. unbiegsamen Stabe so aufgehängt ist, daß er einen Bogen um eine Achse beschreiben kann, welche nicht durch seinen Schwerpunkt geht. A) Ein ebenes P. ist ein solches, dessen schwerer Körper nur in Folge der Schwerkraft sich bewegt, dessen Faden also eine verticale Ebene beschreibt. Wird der Faden überdies als gewichtlos u. der schwere Körper als schwerer Punkt gedacht, so hat man das einfache P. (mathematische P., ideale P.). Die Gesetze seiner Bewegung ergeben sich aus der Betrachtung, daß der von ihm beschriebene Kreisbogen aus unendlich vielen auf einander folgenden schiefen Ebenen besteht; daß ein Körper durch den Fall auf der schiefen Ebene eine solche Geschwindigkeit erlangt, daß er auf einer gleich geneigten schiefen Ebene bis zu derselben Höhe aufwärts steigen würde; daß die beschleunigende Kraft für einen solchen Körper gleich der beschleunigenden Kraft der Schwere multiplicirt mit dem Sinus des Neigungswinkels ist. Hieraus ergeben sich, wenn man auch vom Widerstande der Luft u. sonstigen Bewegungshindernissen absieht, folgende Gesetze für die Bewegung des einfachen P-s: a) das aus der Ruhelage gebrachte P. kehrt zu derselben zurück u. steigt vermöge der Beharrung auf der entgegengesetzten Seite bis zu derselben Höhe. Diese ganze Bewegung heißt eine Pendelschwingung, der durchlaufene Weg ein Schwingungsbogen, die äußerste Abweichung (Elongation) des P-s von der verticalen Lage in Winkelmaß ausgedrückt, die Schwingungsamplitude. b) Die Schwingungen desselben P-s geschehen sehr nahe in derselben Zeit (sind isochronisch), mögen die Bögen groß od. klein sein, vorausgesetzt, daß die Schwingungsamplituden überhaupt ein solches Maß (etwa 5°) nicht überschreiten, bei welchem noch ohne merklichen Fehler die Sinus der Elongationen den Bogen selbst proportional gelten können. c) Die Schwingungsdauer eines P-s von der Länge l ist = π √ (l : g), wobei g die beschleunigende Kraft der Schwere (30,2 Pariser Fuß) u. π die Ludolphsche Zahl bedeutet. d) Die Zeiten, in welchen P. von verschiedener Länge eine Schwingung vollenden, verhalten sich wie die Quadratwurzeln aus den Längen der P. e) Die Längen der P. verhalten sich wie die Quadrate der Schwingungszeiten, od. umgekehrt wie die Quadrate der Anzahlen in gleicher Zeit ausgeführter Schwingungen, z.B. ein neunmal längeres P. schwingt dreimal langsamer od. führt in derselben Zeit nur den dritten Theil der Schwingungen aus. Die Länge eines mathematischen Secundenpendels für Paris ist 993,8666 Millimètre. Für die Beobachtungen stehen nun mathematische P. nirgends zu Gebote, sondern man hat nur schwere Körper von merklicher Ausdehnung an zwar dünnen, aber dennoch schweren Fäden od. Stäben. Ein solches P. heißt ein zusammengesetzes od. physisches P., doch lassen sich die Beobachtungen an letzteren auf die idealen Beobachtungen an mathematischen P-n zurückführen durch folgende Betrachtung: Man kann sich das physische P. als ein System einzelner unverrückbar mit einander verbundener P. vorstellen, von welchen die kürzeren durch die längeren in ihrer Bewegung verzögert, letztere durch die ersteren beschleunigt werden. So wie wir nun bei Betrachtung des Gewichtes der Körper dieses in den Schwerpunkt verlegen, so läßt sich auch hier ein Punkt bestimmen, dessen Abstand vom Aufhängungspunkte gleich der Länge eines mathematischen P-s ist, welches mit dem gegebenen physischen P. gleiche Schwingungsdauer hätte. Dieser Punkt heißt der Schwingungsmittelpunkt des physischen P-s. Mathematische Betrachtungen lehren, daß der Abstand des Schwingungspunktes vom Aufhängepunkte gleich der Summe der Trägheitsmomente aller materiellen Theilchen, dividirt durch die Summe ihrer statischen Momente sei (wobei unter Trägheitsmoment das Product aus der Masse in das Quadrat des Abstandes vom[799] Aufhängepunkte, unter statischem Moment aber das Product aus der Masse in die erste Potenz dieses Abstandes verstanden wird). Sucht man dagegen empirisch den Abstand des Schwingungspunktes vom Aufhängepunkt auf, so erhält man die Länge, welche das P. haben muß, um in einer gewissen Zeit (z.B. einer Secunde) eine Schwingung zu vollenden. Am sichersten mißt man diese Länge durch den von Huygens erwiesenen Satz, daß die Schwingungen eines P-s in derselben Zeit erfolgen, wenn man Aufhängepunkt u. Schwingungspunkt verwechselt. Ein solches P. (Reversionspendel) wird mit zwei Achsen versehen, deren Abstand bekannt ist, u. Gewichte an ihm so lange verrückt, bis die Schwingungen in derselben Zeit erfolgen, an welcher Achse man das P. auch aufhängen möge. Ist der Unterstützungspunkt a, um welchen sich ein P. dreht, nicht am oberen Ende, sondern an einer anderen mittleren Stelle angebracht, so muß während der Schwingung desselben das obere Ende gehoben werden, während das untere fällt, u. umgekehrt. Die Geschwindigkeit eines solchen P-s wird daher verzögert u. um so mehr, je näher a dem Mittelpunkt der Schwere des ganzen P-s rückt. Hierauf gründet sich das Metronom od. der Musikalische Zeitmesser (s.d.).

Da die Wärme die Pendelstange ausdehnt u. verlängert, so haben die P. im allgemeinen bei verschiedenen Temperaturen nicht dieselbe Schwingungsdauer, u. man muß daher bei gewöhnlichen Pendeluhren mit stählernen Pendelstangen durch Höher- u. Tieferschrauben der Pendellinse bei Temperaturveränderungen das P. reguliren. Um diesem Übelstande zu begegnen, verfertigt man bei besseren Uhren gewöhnlich die Pendelstangen aus einem Material, welches sich in der Wärme nur wenig ausdehnt, z.B. aus gut ausgetrocknetem, in Öl. gesottenem u. dann überfirnißtem Holz; od. man setzt die Pendelstangen so aus mehren Stücken zusammen, daß sich die Wirkungen der Wärme gegenseitig aufheben od. compensiren. Dergleichen Compensationspendeln sind: a) das Mercurialpendel, bei welchem als Pendelscheibe die Linse an dem Stahlstabe ein zum Theil mit Quecksilber gefülltes Gefäß dient. Da die Ausdehnung des Quecksilbers durch die Wärme stärker ist, als die des Stahles, so läßt sich eine solche Menge Quecksilber ausmitteln, daß sich in der Wärme der Schwingungspunkt des P-s durch die Ausdehnung des Stahlstabes ebensoviel senkt, als er sich wegen Ausdehnung des Quecksilbers erhebt, beide Wirkungen compensiren sich. b) Das Rostendel hat eine aus mehren, z.B. neun parallelen durch Querstäbe auf gewisse Weise verbundenen Stäben zusammengesetzte Pendelstange. Ein nur zur Aufhängung bestimmtes kurzes Stäbchen trägt einen Querstab, an welchem in einiger Entfernung von einander zwei ungefähr die Länge des P-s bestimmende parallele Stahlstäbe befestigt sind. Sie sind unten gleichfalls durch einen Querstab verbunden u. stellen auf diese Weise so gut als eine Stahlstange von der Länge l, dar. An dem unteren Querstab sind zwischen den Stahlstäben zwei wieder nach oben führende u. oben durch einen Querstab verbundene Zinkstäbe von der Länge l2 befestigt. Von dem letztgenannten Querstab führen ebenso zwei Stahlstäbe von der Länge l3, herab, von hier aus nochmals zwei Zinkstäbe von der Länge l4 hinauf, endlich ein Stahlstab von der Länge l5, welcher die Pendellinse trägt u. frei durch Öffnungen der Querstäbe hindurchgeht, wieder abwärts. Ändert sich nun die Temperatur um t°, so wird durch Ausdehnung des Stahles, dessen Ausdehnungscoëfficient 0,0000126 ist, die Linse um die Strecke (l1 + l2 + l5) . 0,0000126_. t herabgedrückt, dagegen durch die Ausdehnung des Zinkes um die Strecke (l2 + l4) . 0,0000188_. t aufwärts bewegt, u. es braucht also nur das Verhältniß beider Längensummen so gewählt zu werden, daß beide Producte gleich sind, um den Einfluß der Temperatur zu beseitigen.

Die wichtigste Anwendung des P-s ist, außer, daß es zu vielen physikalischen Untersuchungen unentbehrlich ist, die als Zeitmesser. Man braucht es nur mit einem Räderwerk zu verbinden, welches bei jedem Pendelschlage um ein od. zwei Zähne weiter rückt u. einen Zeiger mit sich herumführt, welcher die Zahl der gemachten Schwingungen anzeigt. Von diesen Pendelubren unterscheiden sich die Federuhren, wo das P. durch die Unruhe (s.d.) ersetzt wird. Um den Uhren einen bei den größten wie kleinsten Pendelschwingungen gleichen od. isochronischen Schlag zu geben, müßte man das P. in einer Cykloide, statt in einem Kreise, seine Schwingungen machen lassen, was dadurch bewirkt wird, daß ein P. an einem Faden zwischen zwei halbcykloidische Bleche, deren erzeugende Kreise einen der Hälfte des Fadens gleichen Durchmesser haben, aufgehängt wird, wo dann während der Schwingungen der Faden sich um die beiden Halbcykloiden aufrollt. Doch entspricht diese von Huygens angegebene Vorkehrung ihrem Zwecke nicht ganz, ist auch wenig in Gebrauch gekommen. Außerdem dient das P. zur Lösung mehrer anderer höchst wichtiger physikalischer Probleme. Aus der Formel π √ (l : g) für die Schwingungsdauer ergibt sich, daß man umgekehrt aus der gemessenen Schwingungsdauer eines P-s von bekannter Länge g berechnen könne, u. dies ist auch bei weitem die genaueste Methode, das Maß der Schwere g zu bestimmen. Es findet sich z.B. für Paris 9,8088 Millim. Diese Größe ist aber, wie zuerst Richer bei einer Reise nach Cayenne 1672 entdeckte u. Newton theoretisch erklärte, aus doppeltem Grunde veränderlich, indem nach dem Äquator hin sowohl durch Vergrößerung der Schwungkraft in Folge der täglichen Rotation als durch Zunahme der Entfernung vom Erdmittelpunkte in Folge der Abplattung die Schwerkraft abnimmt. Zieht man nun eine dieser Ursachen, z.B. die Schwungkraft, als bekannt in Rechnung, so hat man in den Beobachtungen der Pendelschwingungen ein Mittel, die Abplattung der Erde zu messen. Auch die Masse der Erde hat Carlini 1824 durch Pendelschwingungen am Fuße u. auf der Spitze des Mont Cenis gemessen. Denn bei der größeren Entfernung vom Erdmittelpunkt mußte zwar g etwas vermindert erscheinen, aber die zwischenliegende Masse des Berges mußte die Pendelschwingungen wieder beschleunigen, u. so ergab sich ein Mittel das Verhältniß der Erdmasse zur Masse des Berges zu berechnen. Genauer noch ist dasselbe Problem von Cavendish 1797 u. später von Reich (1837) durch Vergleichung der Schwingungen eines durch die Schwerkraft bewegten verticalen P-s mit den Schwingungen eines horizontalen durch die Anziehungskraft großer Bleimassen in Bewegung gesetzten P-s gelöst worden. Indem ferner nach den sorgfältigsten Versuchen alle P. von gleicher Länge, ohne Unterschied desden schweren Körper bildenden Materials, gleiche Schwingungsdauer[800] haben, so hat man hierin einen Beweis, daß die Schwere od. Gravitation, d.i. die gegenseitige Anziehung der Massen aus der Ferne, von der chemischen Beschaffenheit der Körper ganz unabhängig ist. Unter den wissenschaftlichen Anwendungen der Beobachtung von Pendelschwingungen ist noch der Foucaultsche Pendelversuch zu erwähnen, ein von Foucault 1851 erfundener Versuch, durch die scheinbare Drehung der Schwingungsebene eines um seinen Aufhängungspunkt frei schwingenden P-s die im entgegengesetzten Sinne erfolgende Rotation der Erde augenfällig zu beweisen, s. Foucaultscher Versuch.

B) Das Conische od. Centrifugalpendet unterscheidet sich von dem ebenen P. dadurch, daß sich der Faden desselben in einer Kegelfläche bewegt, deren Spitze der Aufhängungspunkt u. deren Basis ein Kreis ist. Der schwere Körper beschreibt dabei also einen Kreis vom Halbmesser r mit einer Geschwindigkeit c, u. seine Centrifugalkraft ist daher c2 : r soll nun der Faden immer in der Kegelfläche bleiben, so muß die Resultante aus der verticalen Schwerkraft g u. der horizontalen Centrifugalkraft in die Verlängerung des Fadens fallen, also c = r √ (g : l) sein; daher ist die Dauer einer ganzen Schwingung = 2 π √ (l : g) od. doppelt so groß als die Schwingungsdauer eines gleich langen ebenen P-s. Verbindet man die Pendelstange eines conischen P-s, welches Secunden schlägt, mit einem Zeiger auf einer Kreistheilung mit 60 gleichen Theilen, so hat man einen Tertienzähler. – Die Gesetze der Pendelschwingungen entdeckte 1582 Galilei, als er das Schwingen einer hängenden Lampe im Dome zu Pisa beobachtete. Huygens lehrte zuerst die Anwendung des P-s zur Regulirung der Uhr (Christ. Hugenii horologium oscillatorium, Par. 1673); Graham u. nach ihm Harrison verfertigten die ersten Rostpendel, denen Troughton durch Röhren eine compendiösere Form gab. Die von Breguet construirte Pendeluhr auf der Altonaer Sternwarte gab in 5 Jahren nur eine Abweichung von einer. Secunde im täglichen Gange. 2) Elektrisches od. elektrometrisches P. (Elektrische Drehwage), ein an einem dünnen Faden so aufgehängtes-Drahtstück, daß es in horizontaler Lage schweben bleibt. Hat man die Schwingungszeit dieses P-s genau bestimmt, so bringt man den Körper, dessen. Elektricität man messen will, in die Nähe des schwingenden Drahtes u. beobachtet die Differenz der Quadrate beider Schwingungszahlen, welche die Stärke der elektrischen Anziehung anzeigt. Ein magnetisches P (Magnetische Drehwage) erhält man, wenn man ein Magnetstäbchen im Schwerpunkte wagerecht an einem sehr seinen, biegsamen Faden aufhängt, ihn im magnetischen Meridian in Ruhe kommen läßt, dann aus der Lage des Gleichgewichtes bringt u. sich selbst überläßt. So wird er, wie ein horizontales P., osciliiren, u. die Anzahl der Schwingungen, welche er in einer bestimmten Zeit macht, steht mit seiner magnetischen Kraft in Verhältniß. Ist P die richtende magnetische Kraft u. A der durch eine äußere Kraft gebildete Ablenkungswinkel, so ist P sin A die Kraft, welche den Magnet in den Meridian zurückzuführen sucht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 799-801.
Lizenz:
Faksimiles:
799 | 800 | 801
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon